Braucht es besondere MWST-Regeln für Non-Fungible Token (NFT)? Teil 2

NFT erobern mehr und mehr den Markt, das Potenzial scheint nahezu unbegrenzt. Im ersten Teil des Artikels (1)  wurde dargelegt, wie sich NFT definieren und wie sie sich in die vorhandenen MWST-Regelungen eingliedern lassen. In diesem zweiten Teil soll beleuchtet werden, ob die konkreten MWST-Folgen den spezifischen Problemen dieser neuen Technologie hinreichend Rechnung tragen und welche Herausforderungen sich im Rahmen von Herstellung, Übertragung, Verwendung und Aufbewahrung sowie Handel von bzw. mit NFT für die Teilnehmer am Markt ergeben.

Wie im ersten Teil des Artikels erläutert, dürften NFT im Rahmen der derzeitigen Anwendungsfelder regelmässig als Nutzungstoken zu qualifizieren sein, wobei bei entsprechender Ausgestaltung auch eine Subsumption unter der Definition des Anlagetokens möglich erscheint. Die Existenz von Mischformen wird von der ESTV explizit anerkannt. Sie bietet in ihrer Praxispublikation einen Leitfaden, wie die Herstellung bzw. Ausgabe, der Handel, die Verwendung und die Aufbewahrung von Nutzungs- sowie Anlagetoken mehrwertsteuerlich zu beurteilen sind. Dabei bleiben aber Fragen offen, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

Praxisfragen bei der Herstellung von NFT

Die ESTV äussert sich nicht explizit zur Frage, wie die Herstellung («Minting») eines NFT mehrwertsteuerlich zu bewerten ist. Das Minting eines NFT dürfte nicht von der MWST erfasst werden, sofern es nicht in einen Leistungsaustausch eingebettet ist (z.B. wenn ein Künstler ein NFT im Rahmen seines Schaffens erstellt). Aber wie sieht es aus, wenn das NFT vom Künstler im Auftrag einer anderen Person gemintet wird, möglicherweise sogar direkt in dessen Wallet, sodass formal keine weitere Übertragungshandlung notwendig ist? Hier dürften in Wahrheit trotz der gefühlten Einheitlichkeit des Vorgangs rechtlich dennoch zwei voneinander zu unterscheidende Handlungen vorliegen, die nacheinander vollzogen werden: das (nicht im Anwendungsbereich der MWST liegende) Minten im Sinne der blossen Generierung des NFT sowie die (anschliessend erfolgende) Übertragung der im NFT verkörperten Werte.

Kniffliger wird es, wenn im NFT letztlich Werte verkörpert werden, die dem Dritten bereits gehören (z.B. wird ein NFT im Auftrag des Dritten gemintet, welches lediglich die Bestätigung des Eigentums des Dritten an einem bestimmten Gegenstand bestätigen soll). Denn hier wird das NFT, welches seinen Wert ja nur durch das durch ihn verkörperte Gut erhält, sozusagen selber zum Handelsgut. Darauf kommen wir gleich im nächsten Abschnitt zurück.

Praxisfragen bei der Ausgabe/ initiale Übertragung von NFT

Da es sich bei NFT regelmässig um Nutzungs- oder gegebenenfalls Anlagetoken handelt, ist laut Praxis der ESTV für die mehrwertsteuerliche Behandlung im Rahmen der Ausgabe und der Übertragung auf das durch den Token verkörperte Gut abzustellen. So kann es sich bei der entgeltlichen Ausgabe eines NFT um eine steuerbare oder von der Steuer ausgenommene Dienstleistung oder Lieferung handeln, je nachdem, welche Leistung genau durch das NFT verkörpert wird. Diese Sichtweise erscheint logisch und leuchtet ein, sofern dem NFT eine vom durch ihn repräsentierten Wert unabhängige Existenz und damit ein selbständiger Wert abgesprochen wird. Gerade im oben erwähnten (in den Publikationen der ESTV nicht erwähnten) Beispiel, bei dem jemand beauftragt wird, ein NFT zu generieren, welches mit einem Wert verknüpft ist, der dem Auftraggeber aber bereits gehört, greift diese Sichtweise nach Auffassung der Autoren zu kurz. Denn für den Auftraggeber dürfte sich der Wert des NFT völlig unabhängig vom durch ihn repräsentierten Wert bestimmten, denn das zugrundeliegende Gut steht ja bereits in seinem Eigentum. Ziel des Auftraggebers ist es in einem solchen Fall daher nicht, das Recht am dem NFT zugrundeliegenden Wert zu erwerben, sondern lediglich, seinen besonderen damit verbundenen Status in digitaler Weise zu verbriefen. Warum dann aber für die Qualifikation der Leistung (als Lieferung oder Dienstleistung) sowie den Ort der Leistung auf den im NFT verbrieften Wert abgestellt werden soll, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Einleuchtender und sachgerechter dürfte in einem solchen Fall wohl die Annahme sein, der Hersteller des Token erbringe eine elektronische Dienstleistung. 

Werden NFT auf einen Dritten übertragen, um damit erbrachte Leistungen zu entschädigen, liegt laut ESTV grundsätzlich ein Tauschverhältnis vor, bei dem der Marktwert jeder Leistung als Entgelt für die andere Leistung gilt. Die sich gegenüberstehenden Leistungen sind mehrwertsteuerlich dementsprechend nach der Art und Wert der jeweiligen Leistung zu beurteilen (2). Dies erscheint sachgerecht, denn ein NFT ist definitionsgemäss eben nicht als blosses Zahlungsmittel zu verstehen.Wie eingangs erwähnt anerkennt die ESTV die Möglichkeit ausdrücklich an, dass es sich bei bestimmten Token um Mischformen handeln kann, die Eigenschaften z.B. eines Nutzungstoken mit denen eines Zahlungs- oder Anlagetoken (3) verbinden. Bietet ein Anlage- bzw. Nutzungstoken zusätzlich eine Zahlungsfunktion, so verneint die ESTV jedoch das Vorliegen einer Kombination verschiedener Leistungen, es bleibe bei einem (reinen) Anlage- bzw. Nutzungstoken. Unklar ist, auf welche Rechtsnorm sich die ESTV beruft, wenn sie im Falle einer Kombination von Nutzungs- und Anlagetoken die Vermutung formuliert, die Anlagefunktion sei überwiegend, der Token damit als Anlagetoken zu behandeln. Es dürfte sich hier wohl um eine widerlegbare Vermutung handeln, die gestützt auf eine konkrete Fallkonstellation umgestossen werden kann. Immerhin erscheint die von der ESTV formulierte Praxis als pragmatisch und praktikabel, denn sie entbindet den Steuerpflichtigen von der Notwendigkeit, den Status der Token mühsam zu belegen und bietet dadurch eine gewisse Rechtssicherheit auf relativ neuem Terrain.

Praxisfragen beim Handel mit und der Verwendung von NFT

Gleich wie bei der initialen Übertragung von NFT bestimmen sich Art der Leistung und Ort der Leitungserbringung im Falle des An- und Verkaufs von NFT basierend auf der durch sie verkörperten Leistung. So mündet der Handel mit NFT in einer steuerbaren Leistungen, sofern der Ort der im Kryptotoken enthaltenen Leistung im Inland liegt und keine Steuerausnahme nach Art. 21 Abs. 2 MWSTG zur Anwendung kommt (4).

Dies klingt soweit recht einfach. Es gilt aber zu beachten, dass ein Nutzungstoken gemäss der auch von der ESTV anerkannten Definition (5) einen lediglich bestimmbaren Wert verkörpern kann. In solchen Fällen rückt der Nutzungstoken konzeptionell in die Nähe eines Gutscheines. Wenn aber die Leistung im Zeitpunkt der Übertragung lediglich bestimmbar ist, stellt sich die Frage, wie sich genau der Leistungszeitpunkt und damit der Moment der Entstehung der Steuerschuld bestimmt? Bezogen auf einen NFT (im Sinne einer Unterart des Nutzungs- oder Anlagetokens) kann bei der Beantwortung dieser Frage zunächst hilfreich sein, sich die Einzigartigkeit eines NFT in Erinnerung zu rufen. Das Erfordernis der Einzigartigkeit macht es eher unwahrscheinlich, dass ein NFT ein lediglich bestimmbares Gut verkörpert, z.B. eine Flasche Domaine de la Romanée-Conti, Jahrgang 2002. Vielmehr muss es dann eine ganz bestimmte Flasche sein. Damit ist auch klar, dass im Moment der Übertragung eines NFT im Rahmen eines Handels meist schon klar ist, welcher Vermögenswert genau durch ihn verkörpert ist, wobei dieser bzw. das Recht an diesem zeitgleich mit dem NFT übertragen wird. Es ist zu beachten, dass der Nutzer von da an unendlich oft auf das durch den NFT verkörperte Recht zugreifen kann, das NFT verbraucht sich sozusagen nicht. Damit kann der Leistungszeitpunkt nicht abweichend vom Zeitpunkt der Übertragung des NFT bestimmt werden (anders ist dies im Zusammenhang mit normalen Nutzungstoken, die keine NFT darstellen: normale Nutzungstoken können verwendet und damit sozusagen verbraucht werden, z.B. wenn sie Zugang zu einer bestimmten Speicherkapazität vermitteln. Hier können die Übertragung des Token und dessen Verwendung zeitlich auseinanderliegen. Die Frage zum Zeitpunkt der Leistung beantwortet die ESTV dahingehend, dass der dieser im Augenblick der Verwendung des Tokens und damit der Realerfüllung festzulegen ist).

Ein anderer Punkt, der in der Praxis beim Handel mit NFT, die einen Immateriellen Wert verkörpern und damit bei der Übertragung als Dienstleistung qualifizieren, zu Schwierigkeiten führen kann, ist, dass im Rahmen des NFT-Handels die Transaktionsteilnehmer oft anonym bzw. via Pseudonymen auftreten. Denn gestützt auf Art. 8 Abs. 1 MWSTG gilt als Ort der Dienstleistung der Ort, an dem der Empfänger oder die Empfängerin der Dienstleistung den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine Betriebstätte hat. Treten die Käufer anonym auf, ist es fast unmöglich, den Empfänger und damit den Ort der Leistung rechtssicher zu identifizieren. Dies gilt um so mehr dort, wo sämtliche relevanten Vorgänge in einer Transaktion automatisiert über einen sog. Smart Contract geregelt werden
Den Anbietern von NFT bleibt da oft nur, Transaktionen nur dann einzugehen, wenn der Käufer sich z.B. im Rahmen eines Know-Your-Costumer Prozesses mit seinem bürgerlichen oder seiner offiziellen Firma zu erkennen gibt und entsprechende Belege dazu einreicht (z.B. Ausweiskopie und/oder Auszug aus dem Melderegister oder Handelsregisterauszug).

Ein (gewagter) Blick in die Zukunft

Wie am obigen Beispiel des Wie am obigen Beispiel des Auftrages zur Herstellung eines NFT zur Verkörperung eines bereit sich im Eigentum des Auftraggebers befindenden Vermögenswertes dargelegt, kann die in der aktuellen Rechtslage vorgesehene Gleichstellung des NFT mit dem durch ihn verkörperten Vermögenswert  in der realen Welt durchaus Schwierigkeiten bereiten. Es ist zu beachten, dass aktuell zivilrechtliches Eigentum in vielen Rechtsordnungen nur an Sachen möglich, so legt es in der Schweiz auch Art. 641 Abs. 1 ZGB fest. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff «Sache» im Zivilrecht sehr eng zu verstehen ist und daher ausschliesslich körperlich existierende Gegenstände und Werke versteht. Dies hat weitreichende Konsequenzen, denn wenn kein Eigentum an einem NFT selbst möglich ist, weil es ihm an Körperlichkeit fehlt, kann es selbst nicht gestohlen werden. Unabhängig der Rechtskonstrukte führt dies dann dazu, dass der zugrundeliegende Vermögenswert demjenigen gehört, der das NFT hat, ganz egal, wie dieser in seinen Besitz gelangt ist («code is law»). Im Falle eines Diebstahls des NFT gibt es dann allenfalls einen Schadenersatz-, aber keinen Herausgabeanspruch. Dass dies nicht immer zu einem das Gerechtigkeitsgefühl befriedigenden Resultat führt, dürfte klar sein.
Umso bemerkenswerter ist, dass jüngst ein Britisches Gericht (High Court) in revolutionärer Weise die Möglichkeit des zivilrechtlichen Eigentums an NFT selbst anerkannt hat (6). Auch ein chinesisches Gericht hat den NFT als gesetzlich geschütztes virtuelles Eigentum betrachtet (7).

Sollte sich daraus ein Trend entwickeln, könnten nach Ansicht der Verfasser Auswirkungen auf das MWST-Recht nicht ausgeschlossen werden. Zumindest eine Publikation der Praxis der ESTV spezifisch zu NFT wäre dann wünschenswert. Denn wenn das NFT selber eine eigenständige Stellung als handelbarer Vermögenswert erhält, die unabhängig vom durch ihn verkörperten (virtuellen oder physischen) Gegenstand ist, dann muss die MWST-liche Behandlung des Handels mit NFT eben auch unabhängig davon erfolgen. Folgerichtig müsste die Frage gelöst werden, ob jeder Handel dann automatisch zu zwei Leistungsströmen führen würde, einmal bezüglich des NFT und einmal bezüglich des durch ihn verkörperten Vermögenswertes? Und wie wäre das NFT selber dann zu bewerten, als IP-Recht? Oder als elektronisch erbrachte Dienstleistung? Oder als Dienstleistung eigener Art? Nach welchen Grundsätzen wäre das Entgelt auf diese beiden Leistungen aufzuteilen? Würde eine Gesamtleistung oder eine Leistungskombination vorliegen, oder wäre das NFT als Nebenleistung zu beurteilen, der darin verkörperte Wert als die Hauptleistung?

Fazit

Die vorhandenen Regelungen scheinen auf dem ersten Blick hinreichend zu sein, um auch in der Praxis zu praktikablen Lösungen zu führen. In Einzelfällen kann es aber dennoch knifflig sein, die mehrwertsteuerliche Behandlung von Transaktionen mit NFT rechtssicher zu beurteilen. Es bleibt abzuwarten, ob die sich rasant entwickelnde wirtschaftliche Bedeutung von NFT auch zu separaten, speziell auf sie zugeschnittene MWST-Regelungen führen wird.

AUTOREN

Christoph Drexl ist Partner bei der Primetax AG. Er ist spezialisiert auf den Bereich Mehrwertsteuer und berät Kunden bei komplexen Fragestellungen des nationalen und internationalen Mehrwertsteuerrechts.

Linda Graff Brakemeier ist Director bei der Primetax AG. Sie verfügt über mehr als 20 Jahre MWST-Erfahrung als Beraterin und Inhouse-Steuerverantwortliche und berät Kunden zu Fragen der nationalen und internationalen Mehrwertsteuer. 

Zsuzsanna Serra, LL.M, ist Consultant bei der Primetax AG. Frau Serra berät Kunden vor allem bei Fragen der nationalen und internationalen Mehrwertsteuer.

1 WEKA MWST-Newsletter 03, März 2023
2 Vgl. Art. 24 Abs. 3 MWSTG sowie MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.4
3 Für die Definition der Tokenarten vgl. die Ausführungen in der MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.1
4 MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.4
5 MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.1
6 https://taxtech.blog/2022/05/17/eigentum-an-non-fungible-token-nft-ein-uk-gericht-sagt-ja/
7 https://www.finanzen.ch/nachrichten/devisen/neue-erkenntnisse-aus-gerichtsurteil-in-china-nfts-gesetzlich-geschuetztes-virtuelles-eigentum-1031971166