Vorsteuerabzug und (nicht-) unternehmerischer Tätigkeitsbereich: BG Urteil 9C_651/2022

Unter dem aktuellen MWSTG ist das Recht zum Vorsteuerabzug weit gefasst. Demnach kann der Steuerpflichtige im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich die ihm in Rechnung gestellte und von ihm bezahlte Vorsteuer in Abzug bringen, Art. 28 Abs. 1 MWSTG. Erforderlich ist jedoch u.a., dass die Vorsteuer im Rahmen der „unternehmerischen Tätigkeit“ des Steuerpflichtigen angefallen ist. Naturgemäss drängt sich damit die Frage auf, wie der unternehmerische vom nicht-unternehmerischen Bereich abzugrenzen ist.

Mit dieser Abgrenzung des unternehmerischen vom nicht-unternehmerischen Bereich und den entsprechenden Folgen für den Vorsteuerabzug hat sich das Bundesgericht in seinem Urteil 9C_651/2022 auseinandergesetzt.

Hintergrund

Beschwerdeführer in dem zugrunde liegenden Streitfall war ein Verein, dessen Vereinszweck die Unterstützung und Förderung kirchlicher und gemeinnütziger Anliegen im In- und Ausland war. Für die Erreichung des Vereinszwecks veranstaltete der Verein christliche Musicals. Die Musicals finanzierten sich zu ca. 70% durch Spenden, Eintrittsentgelte wurden nicht erhoben.

Neben den Spendeneinnahmen erzielte der Verein auch Entgelte aus Leistungen, beispielsweise dem Verkauf von Lebensmitteln im Kontext mit den Musicals, dem Verkauf von anderen Gegenständen (bspw. Bücher; T-Shirts), aus Bekanntmachungsleistungen (Sponsoring) zugunsten von Firmen sowie Beherbergungsleistungen. Anlässlich einer MWST-Kontrolle versagte die ESTV dem Verein den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Durchführung der Musicals. Hiergegen wandte sich der Verein.

ENTSCHEID DES BUNDESGERICHTS
Das Bundesgericht verweist auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Unternehmensträger neben dem unternehmerischen auch einen nicht-unternehmerischen Bereich unterhalten kann. Dabei sei aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Unternehmen im Grundsatz eine wirtschaftliche Einheit darstelle, welcher alle Aktivitäten zuzuordnen sind, die einen Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit aufweisen.

Ein etwaiger nicht-unternehmerischer Bereich sei demnach dadurch gekennzeichnet, dass die betreffende Unternehmenseinheit entweder überhaupt keine Einnahmen aus Leistungen bewirkt oder diese zumindest in nicht nachhaltiger Art anfallen. Von einem eigenständigen nicht-unternehmerischen Bereich dürfe mithin erst ausgegangen werden, wenn die Trennung ausreichend klar vollzogen werden könne – sei dies aufgrund einer nach aussen deutlich erkennbaren separaten Tätigkeit oder einer klaren Zweckbestimmung, die von jener der unternehmerischen Tätigkeit abweiche. Fehle es daran, bleibe es nach dem Grundsatz der „Einheit des Unternehmens“ bei einem einzigen, und zwar unternehmerischen Bereich.

Vorliegend liege der Hauptzweck der Durchführung der christlichen Musicals in der gemeinnützigen bzw. ideellen Tätigkeit des Vereins – und nicht im Verkauf von Lebensmitteln, Büchern oder T-Shirts bzw. in der Erbringung von Bekanntmachungs- und Beherbergungsleistungen. Mit den Musicals verfolge der Verein mithin ideelle Zwecke und nicht die Erzielung von Einnahmen. Insofern fehle es demnach an der unternehmerischen Tätigkeit.

Damit könne die ideelle Zweckbestimmung der Musicalaufführungen klar von jener der unternehmerischen Tätigkeit des Vereins (Verkauf von Lebensmitteln etc.) unterschieden werden und dürfe eine Trennung zwischen dem eher kleinen unternehmerischen Bereich und dem deutlich grösseren nicht-unternehmerischen Bereich vorgenommen werden. Unbeachtlich sei die enge faktische Verknüpfung der unternehmerischen und der nicht-unternehmerischen Aktivitäten: Der Verein führe die Musicals nicht auf, um seine unternehmerische Tätigkeit zu fördern, sondern nehme anlässlich der (ideell motivierten) Aufführungen lediglich die Gelegenheit wahr, eine untergeordnete unternehmerische Tätigkeit auszuüben.

Fazit

Im Ergebnis bestätigt das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Abgrenzung des unternehmerischen vom nicht-unternehmerischen Bereich. Die Argumentation scheint dabei nicht unwesentlich getrieben von Erwägungen, „unlautere“ Steuervorteile zu erzielen, indem ein vergleichsweise untergeordneter unternehmerischer Bereich herangezogen wird, um im vermeintlich nicht-unternehmerischen Bereich angefallene Vorsteuer in Abzug bringen zu können.