Rechnungen kommt in der MWST bekannterweise eine herausragende Bedeutung zu: einerseits wird mit ihnen die MWST (sofern anwendbar) auf den Kunden überwälzt, andererseits bildet sie für Unternehmen eine wesentliche Grundlage für die Rückforderung der mit ihr belasteten Mehrwertsteuer (sog. Vorsteuer). Bisher kennt die Schweiz zwei Rechnungsformate: die Rechnung in Papierform und die elektronische Rechnung (oder auch E-Rechnung). Letztere wird von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) aktuell definiert als ein elektronisch generiertes Dokument, welches die gleichen Inhalte und Rechtsfolgen hat wie Papierrechnungen. Mit der Überarbeitung der MWST-Info 16, Buchführung und Rechnungsstellung, Entwurf vom 3. Mai 2023, wird scheinbar ein weiteres Format eingeführt: neben der Papierrechnung und der E-Rechnung soll es neu auch die digitale Rechnung geben. Doch wie unterscheiden sich diese beiden letztgenannten Kategorien genau voneinander? Und wie relevant ist dies für in der Schweiz tätige Unternehmen in der Praxis, welche möglichen Konsequenzen ergeben sich daraus?

Hintergrund

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Rechnungsdokumente (mangels besserer Alternativen) immer in Papierform erstellt, doch im Zuge der Digitalisierung eröffneten sich schnell neue billigere und zeitsparendere Möglichkeiten: so erfreute sich die via E-Mail verschickte Rechnung im PDF-Format zunehmender Beliebtheit. Die früher geltenden mehrwertsteuerlichen Regeln zur Rechnung waren starr, die Anforderungen an Formerfordernisse hoch und letztlich auf Papierrechnungen zugeschnitten. Neue Regeln wurden notwendig, um für Unternehmen Rechtssicherheit im Umgang mit Rechnungen, die nicht in Papierform erstellt und versendet werden oder die zwar in Papierform übermittelt, aber elektronisch archiviert werden, zu schaffen. Dies gilt nicht nur für die Schweiz, sondern Weltweit.

e-Rechnungen in der Schweiz

AKTUELL GÜLTIGE REGELUNGEN

Das Schweizer MWST-Gesetz (MWSTG) definiert eine Rechnung als Dokument, mit dem über das Entgelt für eine Leistung abgerechnet wird. Die Bezeichnung des Dokuments ist irrelevant (Substance over Form). Damit gelten auch Verträge, Quittungen, Kassenzettel und dergleichen als Rechnung im Sinne des MWSTG. Zur Frage der Trägerart schweigt das Gesetz. Die ESTV definiert in der von ihr publizierten und aktuell gültigen Praxis elektronische Rechnungen als elektronische Dokumente, die die gleichen Inhalte und Rechtsfolgen haben wie Papierrechnungen. Damit anerkennt die ESTV E-Rechnungen ausdrücklich als Rechnungen an und hält fest, dass für E-Rechnungen die gleichen Regeln gelten wie für Papierrechnungen. So haben Rechnungen in elektronischer Form grundsätzlich die gleiche Beweiskraft wie Papierrechnungen, sofern die Grundsätze einer ordnungsgemässen Buchführung und sämtliche Anforderungen der Geschäftsbücherverordnung (GeBüV) eingehalten sind (d.h. die Belege werden so aufbewahrt, dass sie nicht geändert werden können und während der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist jederzeit überprüfbar sind). Dies steht im Einklang mit der im MWSTG verankerten Beweismittelfreiheit. Mit dieser Praxis wurde für Unternehmen der Weg freigemacht, Rechnungen im PDF-Format via E-Mail oder in einem anderen digitalen Format zu verschicken und dabei auf Druck und Versand zu verzichten, ohne nachteilige MWST-Konsequenzen fürchten zu müssen. Dies gilt unabhängig von der allfälligen Nutzung einer elektronischen Signatur. 

JÜNGSTE PUBLIKATIONEN DER ESTV UND GEPLANTE PRAXISANPASSUNGEN

Anfang Mai 2023 publizierte die ESTV den Entwurf der überarbeiteten MWST-Info 16, Buchführung und Rechnungsstellung (die Frist zur Vernehmlassung ist seit dem 7. Juni 2023 abgelaufen). Aus dem vorliegenden Entwurf ergibt sich, dass elektronische Belege auch weiterhin den Papierbelegen gleichgestellt sind und grundsätzlich als Nachweise akzeptiert werden. Interessant ist jedoch, dass gemäss Entwurf der Passus zur Definition einer elektronischen Rechnung ersatzlos gestrichen werden soll. Stattdessen findet sich in einer scheinbar nebensächlichen Anmerkung folgender Satz:

«Die Papierrechnung, die elektronische und digitale Rechnung (z.B. PDF-Rechnung oder gescannte Papierrechnung) sind für die Belange der MWST gleichgestellt.»

Hiermit führt die ESTV neben der Papierrechnung und der E-Rechnung offenbar eine dritte Kategorie, nämlich die digitale Rechnung, ein. Heisst das, eine Rechnung im PDF-Format gilt nicht mehr als elektronische Rechnung? Und was genau ist dann unter einer elektronischen Rechnung im Unterschied zur digitalen Rechnung zu verstehen? Hat dies für Unternehmen eine Praxisrelevanz? Dem Entwurf der Praxispublikation ist dazu nichts weiter zu entnehmen.

EIN BLICK ÜBER DIE GRENZE

Einen Hinweis darauf, wie eine digitale Rechnung von einer E-Rechnung möglicherweise abzugrenzen ist, könnte ein Blick auf die in der EU gültigen Regelungen geben:

Bereits im Jahr 2010 wurde die MWST-Richtlinie der EU dahingehend angepasst, dass auch Dokumente, die in einem elektronischen Format gesendet und empfangen werden und denselben Inhalt wie eine Papierrechnung enthält, grundsätzlich als Rechnungen anzusehen sind. Damit wollte die EU die Nutzung von E-Rechnungen bewusst fördern. Jedoch wie so oft wird diese Bestimmung von den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich interpretiert und angewendet, insbesondere dazu, was die Voraussetzungen sind, um eine solche Rechnung als für die Zwecke der MWST gültig ansehen zu können. Manche Länder akzeptieren demnach wie die Schweiz einfache PDF Rechnungen, andere verlangen zusätzlich eine elektronische Signatur oder sind noch strenger. Im Rahmen von Peppol (Pan-European Public Procurement On-Line), einem Projekt, das den Prozess der elektronisch unterstützten öffentlichen Vergabe von Aufträgen innerhalb der EU harmonisieren soll, wurde dann 2014 die EU Richtlinie über die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen in Kraft gesetzt. Diese definiert die elektronische Rechnung sehr eng als eine Rechnung, die in einem bestimmten strukturierten elektronischen Format (CEN/TC 434 EN16931) ausgestellt, übermittelt und empfangen wird und das ihre automatische und elektronische Verarbeitung ermöglicht. Rechnungen im PDF-Format werden von dieser Definition nicht erfasst (selbst wenn sie unbestritten digital übermittelt werden). Zwischenzeitlich gilt für alle EU-Mitgliedsstaaten, dass Rechnungen an Staatliche Behörden (sog. B2G, Business to Government) nur noch in diesem speziellen strukturiere Format eingereicht werden dürfen. Die aktuell viel diskutierte MWST-Initiative der EU, ViDA (VAT in the Digital Age), baut nun auf diese Definition der elektronischen Rechnung auf und sieht für Unternehmen, die in der EU grenzüberschreitend Leistungen erbringen, eine Verpflichtung zur Ausstellung von elektronischen Rechnungen im Format CEN/TC 434EN16931 auch bei Transaktionen zwischen Unternehmen (B2B) vor.

BEDEUTUNG FÜR DIE SCHWEIZER PRAXIS

Es ist nicht klar, ob die Schweiz bzw. die ESTV sich darauf vorbereitet, in absehbarer Zeit ebenfalls entsprechende Regelungen einzuführen und eventuell sogar inskünftig E-Rechnungen nur noch als Rechnungen zu definieren, die in einem bestimmten strukturierten Format übermittelt und empfangen werden. Zwar ist die Schweiz kein Mitglied der EU und damit auch nicht verpflichtet, sich den in der EU geltenden Vorgaben zur Rechnungsstellung zu unterwerfen. Im Interesse der Wirtschaft ist aber eine gewisse Orientierung des Schweizer MWST-Rechts and dasjenige der EU sinnvoll, selbst wenn es sich dabei zunächst nur um die Frage von Definitionen handeln sollte. Denn aktuell ist nicht zu sehen, dass die von der ESTV geplante sprachliche Einführung einer dritten Form von Rechnungen in der Schweiz praktische Relevanz haben wird: die Rechnungskategorien «Papierrechnung», «E-Rechnung» und «digitale Rechnung» sind einander gleichgestellt, für eine Einführung einer obligatorischen Rechnungsstellung in einem bestimmten strukturierten elektronischen Format gibt es aktuell keine Anhaltspunkte. Aber sie wird wohl möglich gemacht, was sich daran zeigen dürfte, dass die Eidgenössische Finanzverwaltung in einer Medienmitteilung vom 17. März 2023 die Rechnungsstellung in Form der E-Rechnung bewirbt (https://www.efv.admin.ch/efv/de/home/efv/erechnung/e-rechnung-zustellen.html): denn gemäss Medienmitteilung qualifizieren als E-Rechnungen die Fakturierung im PDF-Format ebenso wie die Fakturierung mittels integriertem System (ERP; mit oder ohne Involvierung eines Service Providers) und die Erfassung der Rechnung im Internet (via Service Provider).   

Fazit

Bei der geplanten Unterscheidung zwischen E-Rechnungen und neu auch digitalen Rechnungen handelt es sich wohl lediglich um eine sprachliche Differenzierung, die aktuell in der Schweizer Praxis vermutlich keine Auswirkungen haben wird. Ob dies aber auch für die Zukunft gilt, bleibt abzuwarten. In der Schweiz ansässige Unternehmen, die in der EU tätig sind, sollten die Entwicklungen im Zusammenhang mit der ViDA Initiative im Blick behalten und auch beobachten, wie die Schweizer Behörden darauf reagieren.

Das Bundesgericht hat einen Kunstsammler unlängst zur Nachzahlung von Einfuhrsteuern in Höhe von rund CHF 11 Mio. plus Verzugszinsen in Höhe von rund 2.5 Mio. verurteilt. Richtig teuer wurde es für den Kunstsammler aber, als die Steuerfahnder des kantonalen Steueramtes die vom Zoll beschlagnahmten Akten eingehend prüften.

Hintergrund

Hintergrund war, dass die Einfuhr in die Schweiz durch eine Galerie erfolgte, die eine Bewilligung zur Nutzung des Verlagerungsverfahrens hatte. Offenbar zu Unrecht, denn wie das Gericht in seinem Urteil 2C_219/2018 vom 27. April 2020 bestätigt, ist nur derjenige berechtigt, als Importeur aufzutreten, der unmittelbar nach der Einfuhr die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Importwaren innehat. Dass die Galerie die Verfügungsmacht an den Werken hatte, wurde vorliegend verneint und in der Folge der Kunstsammler, dem die Verfügungsmacht im fraglichen Zeitpunkt tatsächlich zustand und daher als Importeur hätte auftreten müssen, zur Zahlung der Einfuhrsteuern verpflichtet.

Das Verlagerungsverfahren

Beim Verlagerungsverfahren entrichtet der Importeur die Einfuhrsteuer nicht an das BAZG, sondern deklariert sie im Rahmen der entsprechenden Mehrwertsteuer-Quartalabrechnung auf einem separaten Formular und macht sie zeitgleich als Vorsteuer geltend (weshalb kein Geld fliesst). Die Anwendung des Verlagerungsverfahrens ist an diverse, kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen geknüpft, u.a. dass der Bewilligungsinhaber in der Schweiz steuerpflichtig ist.

Im hier beurteilten Fall war der Kunstsammler in der Schweiz nicht für die MWST registriert, weshalb er allein schon aus diesem Grund selber über keine Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens verfügte und generell auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt war.

 

Der „Richtige“ Importeur

Grundsätzlich und unabhängig von der Anwendung des Verlagerungsverfahrens gilt gestützt auf die Zollgesetzgebung, dass rechtmässiger Importeur nur sein kann, wer unmittelbar nach der Einfuhr über den importierten Gegenstand wirtschaftlich verfügen kann. Konkret bedeutet dies, dass der Importeur berechtigt sein muss, den Gegenstand selber zu verbrauchen oder zu nutzen oder ihn im eigenen Namen weiterzuverkaufen (z.B. im Rahmen eines Kommissionsgeschäftes). Oder wie der EuGH es formuliert: wirtschaftliche Verfügungsmacht bedeutet, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand verfügen zu können.
 
Im vorliegenden Fall nutzte die Galerie für die Einfuhr der diversen Kunstwerke ihre Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens und trat somit als Importeurin auf. Für den Nachweis, dass sie auch die Verfügungsmacht daran hatte, verwies sie auf verschiedene Kommissionsverträge, gemäss derer die Galerie die Werke im eigenen Namen weiterverkaufen sollte. Das Bundesgericht sah es jedoch als erwiesen an, dass diese Kommissionsverträge lediglich simuliert wurden, im Wesentlichen mit dem Ziel, für die Einfuhr der Werke unrechtmässig die Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens durch die Galerie nutzen zu können (und damit nicht nur vom Cash-Flow Vorteil zu profitieren, sondern auch davon, dass die Galerie die Einfuhrsteuern wieder als Vorsteuern zurückforderte – und mithin dem Staat im Ergebnis die Mehrwertsteuer vorenthalten wurde).
 

Der Stein kommt ins Rollen

 Nachdem die eidgenössische Zollverwaltung den Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Einfuhr dieser besagten Kunstgegenstände befragte, beschlagnahmte sie dabei auch gleich umfangreiche Akten. Aufgrund eines Gesuchs um Erteilung von Amtshilfe gelangten diese Dokumente schlussendlich in die Hände des kantonalen Steueramtes. Dieses stellte später im Rahmen von deren Auswertung fest, dass die Aktivität des Steuerpflichtigen gar als gewerbsmässiger Kunsthandel zu qualifizieren ist und dessen Gewinne aus der Veräusserung von Kunstgegenständen als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit der Einkommenssteuer unterlegen hätten. Aufgrund dessen eröffnete das kantonale Steueramt gegenüber dem Steuerpflichtigen ein Nach- und Strafsteuerverfahren in der Höhe von ca. CHF 270 Mio., was schliesslich vom Bundesgericht entsprechend bestätigt wurde (2C_799/2017, 2C_800/2017).
 
Der Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit wird trotz seiner zentralen Bedeutung weder im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer noch im Bundesgesetz über die Steuerharmonisierung geregelt. Vielmehr ist diesbezüglich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts abzustellen. Im Unterschied zur Liebhaberei wird eine selbständige Erwerbstätigkeit grundsätzlich vor allem in jenen Situationen angenommen, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht besteht, sprich das Ziel, durch Erbringung von entgeltlichen Leistungen an Dritte einen Gewinn zu erzielen. Weitere Faktoren, welche von Seiten der Steuerbehörden im Hinblick auf eine selbständige Erwerbstätigkeit geprüft werden, sind sodann der Einsatz von Arbeit und Kapital, die Tätigkeit auf eigenes Risiko, die Ausübung der Tätigkeit in einer frei gewählten Organisation, die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr sowie die planmässige und dauerhafte Tätigkeit. Von Seiten der Steuerpflichtigen ist es ratsam, die verschiedenen ausschlaggebenden Faktoren im Auge zu behalten und regelmässig auf deren Erfüllung hin zu prüfen. Im vorliegenden Fall nun für die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit als ausschlaggebend gilt einerseits die Beschäftigung von Personal und andererseits das Vorliegen von umfassender Büroinfrastruktur, sowie das Beherrschen und Verwalten von ausländischen, teils substanzlosen Gesellschaften.
 

Fazit

Dieser Fall zeigt zum einen, wie wichtig eine sorgfältige (und in diesem Fall auch wahrheitsgemässe) Dokumentation und interne Organisation bestimmter Abläufe mit Bezug auf die MWST ist. Mit den erforderlichen Compliance-Strukturen und einem IKS (Internes Kontrollsystem) für MWST könnten die Risiken einer nicht korrekten Anwendung eines rechtlichen Verfahrens oder systematischer Fehlentscheidungen verringert werden. Denn es muss nicht immer kriminelle Energie sein, die zu beträchtlichen Aufrechnungen bei der MWST führt. Es reicht z.B. schon aus, dass versehentlich nicht der rechtmässige Importeur erfasst wird, um schwerwiegende Konsequenzen nach sich zu ziehen. In diesem Zusammenhang wird an diesem Fall deutlich, welch zentrale Bedeutung der konstanten Überwachung der Faktoren zukommt, welche für Zwecke der direkten Steuern die Liebhaberei von der selbständigen Erwerbstätigkeit unterscheiden.

Zum anderen verdeutlicht dieser Fall eindringlich, dass Behörden nicht nur ihren eigenen Aufgaben nachkommen. So hatte vorliegend die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zwischen Zollverwaltung, MWST-Behörden und kantonalem Steueramt weitreichende Folgen. Auf dem Wege der Amtshilfe kann die Wirksamkeit einzelner Steuerprüfungen auf weitere Steuerbereiche eines Steuersubjekts ausgeweitet werden. Eine isolierte Betrachtung einzelner Steuerarten ohne Blick auf die gesamte steuerliche Situation, wie dies mit einem umfassenden IKS bewerkstelligt werden könnte – sei es auf Stufe einer natürlichen Person oder eines Unternehmens – kann daher wie im vorliegenden Fall zu einer Spirale steuerlicher Konsequenzen resp. Umqualifizierungen und Aufrechnungen führen. Umso wichtiger ist es, relevante Vorgänge ganzheitlich zu beurteilen.

 

Das Schweizer Mehrwertsteuersystem stimmt in vielen Bereichen mit den Leitlinien des europäischen Mehrwertsteuerrechts überein – nicht ohne im Einzelfall zu gänzlich abweichenden Ergebnissen zu kommen. Entsprechend werden zahlreiche Diskussionen, die auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten geführt werden, auch auf Schweizer Ebene geführt. Dies trifft beispielsweise auch auf die Leistungsbeziehungen bei der Verwendung von Tankkarten zu. Nachdem die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) vor einem Jahr ihren ersten Entwurf veröffentlicht hat, wie sie diese Leistungsbeziehungen mehrwertsteuerlich beurteilt wissen will, hat sie nunmehr am 20. Januar 2023 ihre definitive Publikation zu diesem Thema veröffentlicht.

Hintergrund: Tankkarten

Als Tankkarte im Sinne ihrer Verwaltungspraxis definiert die ESTV solche Karten, die es dem Tankkarteninhaber (Kunden) ermöglichen, an Tankstellen gegen Vorweisen der Karte bestimmte Leistungen zu beziehen.

Der Tankkartenherausgeber legt in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (nachfolgend: AGB) und/oder Verträgen fest, an welchen Tankstellen die Tankkarte gültig ist und welche Leistungen dort mit der Karte bezogen werden können. Die Tankkarteninhaber können an einer Tankstelle z.B. Treibstoff, Betriebsmittel für das Fahrzeug (Schmiermittel, Frostschutzmittel, usw.), Waren oder andere Leistungen beziehen.

Steuerliche Behandlung

Grundfall

Gemäss ihrer nun publizierten Praxis scheint die ESTV davon auszugehen, dass es sich bei der Leistung des Tankkartenherausgebers an den Tankkarteninhaber um eine von der MWST ausgenommene Finanzdienstleistung ohne Recht auf Vorsteuerabzug handelt. Während diese Vermutung im ersten Entwurf noch ausdrücklich so festgehalten war, fehlt es nunmehr an einer eindeutigen Formulierung («ist zu prüfen, ob die Karte steuerlich wie eine Kreditkarte behandelt werden kann»). Aus Kreisen der Verwaltung ist zu vernehmen, dass die abgeschwächte Formulierung in der finalen Publikation nichts an der grundsätzlichen Auffassung der ESTV geändert hat, dass prinzipiell von einer Finanzdienstleistung des Herausgebers an den Inhaber auszugehen sei.

Ausnahme

Abweichend hiervon haben Tankkartenherausgeber die Möglichkeit, die über die Tankkarte abgewickelten Leistungen als Reihengeschäfte abzuwickeln (d.h. die Tankstelle leistet nicht an den Tankkarteninhaber, sondern an den Herausgeber und dieser seinerseits an den Inhaber der Tankkarte). Diese abweichende Behandlung ist nur möglich, wenn bestimmte von der ESTV definierte und kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen eingehalten werden:

  1. Der Tankkarteninhaber weist seine Tankkarte vor, bezahlt aber die vom Tankstellenshop erhaltenen Leistungen nicht. Der Tankstellenshop händigt ihm lediglich einen Lieferschein aus, auf dem kein Vermerk auf die MWST enthalten ist;
  2. jeder Leistungserbringer (Tankstelle, Tankkartenherausgeber) erbringt und fakturiert seinem Leistungsempfänger die diesem erbrachten Leistungen mit Vermerk auf die Mehrwertsteuer im eigenen Namen und auf eigene Rechnung;
  3. jeder Leistungserbringer übernimmt selbst das vollständige Delkredererisiko der eigenen Kunden sowie die Gewährleistung für Mängel der im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbrachten Leistungen; und jeder Leistungserbringer muss sicherstellen, dass seine Vertragspartner (ausser der Tankkarteninhaber) in allen Verträgen sowie in den AGB auf diese Bedingungen hinweisen.
 

Lieferung von Elektrizität in Leitungen

Die vorstehenden Grundsätze finden sowohl auf fossile Brennstoffe wie auch auf Elektrizität in Leitungen Anwendung. Dabei ist zu beachten, dass für die Lieferung von Elektrizität besondere Regelungen hinsichtlich des mehrwertsteuerlichen Leistungsortes gelten:
 
  • Als Ort der Lieferung gilt der Ort, an dem der Empfänger oder die Empfängerin der Lieferung den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine Betriebsstätte hat, für welche die Lieferung erbracht wird (B2B);
  • in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Betriebsstätte (B2C) gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem der Strom verbraucht wird, also dort, wo sich die Ladestation befindet (denn dort findet die Entnahme aus dem Stromnetz und damit der Verbrauch statt).
 

Fazit

Die Praxispublikation der ESTV schafft Rechtsklarheit und erlaubt es den Herausgebern von Tankkarten, ihre Geschäftsmodelle entsprechend zu strukturieren. Vor dem klar formulierten Katalog an Voraussetzungen, die eine Behandlung als Reihengeschäft erfordert, empfehlen wir dringend, bestehende Vereinbarungen zu prüfen und neue Verträge entsprechend anzupassen.

Die subjektive Steuerpflicht in der Mehrwertsteuer setzt unter anderem eine «nachhaltige» Einnahmenerzielungsabsicht voraus. Nach Ansicht von Verwaltung und Bundesverwaltungsgericht kann dabei auch eine einmalige Transaktion (hier: die Vermittlung einer Immobilien-Transaktion) «nachhaltig» sein und eine subjektive Steuerpflicht begründen, wie ein neueres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zeigt (A-4115/2021).

 

Die Voraussetzungen zur Erfüllung der subjektiven Steuerpflicht Art. 10 MWSTG

Steuerpflichtig ist, wer unabhängig von Rechtsform, Zweck und Gewinnabsicht ein Unternehmen betreibt und von der Steuerpflicht nicht befreit ist. Ein Unternehmen betreibt, wer eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt und unter eigenem Namen nach aussen auftritt.

Was ist nachhaltig im Sinne des Art. 10 MWSTG?

Das Bundesverwaltungsgericht nimmt in seinem Entscheid zunächst Bezug auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum alten Recht, bevor es auf einen in der Lehre zum neuen Recht vertretenen Ansatz eingeht und schliesslich den Bogen zur Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) schlägt.

Bundesgerichtliche Rechtsprechung zur «Nachhaltigkeit»

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten MWSTG (vgl. BGE 138 II 251) bildet die Nachhaltigkeit kein eigenständiges Kriterium, sondern sei Tatbestandselement der gewerblichen/beruflichen Ausübung der selbstständigen Tätigkeit. Demnach sprächen die folgenden Indizien für das Vorliegen einer nachhaltigen Leistungserbringung:

  • ein mehrjähriges Engagement und ein planmässiges Vorgehen
  • eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit
  • die Ausführung von mehreren Umsätzen
  • die Vornahme mehrerer gleichartiger Handlungen unter Ausnutzung derselben Gelegenheit
  • die Intensität des Tätigwerdens
  • die Beteiligung am Markt
  • der Unterhalt eines Geschäftsbetriebs
  • die Art und Weise des Auftretens gegenüber Behörden
Bei Grenzfällen ohne stark ausgeprägte andere Indizien seien auch die Gewinnerzielungsabsicht sowie die Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr «starke Signale» für die Nachhaltigkeit (vgl. Urteil des BGer 2C_814/2013 vom 3. März 2014 E. 2.3.3).
 
 
Von Teilen der Lehre vertretene Abgrenzungskriterien

Unter dem neuen Recht vertritt ein Teil der Lehre, die Nachhaltigkeit sei gestützt auf quantitative und qualitative Indizien zu beurteilen.

Quantitative Indizien für eine nachhaltige Tätigkeit seien demnach:

  • Handlungen werden mehrmals und immer gleichartig vorgenommen.
  • Eine einmalige Handlung wird mit Wiederholungsabsicht durchgeführt.
  • Durch einmaligen Vertragsschluss wird ein Dauerzustand zwecks Erzielung fortlaufender Einnahmen geschaffen.
  • Zwar wird eine Leistung einmalig erbracht, hierfür ist aber eine gewisse Dauer erforderlich.
 
Qualitative Indizien für eine nachhaltige Tätigkeit seien demnach:
 
  • Die Tätigkeiten werden tatsächlich – unter Ausnützung derselben Gelegenheit und desselben dauernden Verhältnisses – wiederholt.
  • Das Handeln ist planmässig sowie auf Wiederholung angelegt.
  • Eine Beteiligung am Markt kann festgestellt werden, bei welcher der Tätige «wie ein Händler» auftritt.
  • Der Unternehmensträger mietet ein Geschäftslokal an, welches insbesondere auch im Aussenauftritt bekannt gegeben wird.
 
Rechtsprechung des EuGH
Die in Bezug genommene Rechtsprechung des EuGH befasst sich mit der Abgrenzung zwischen privater und unternehmerischer Tätigkeit. Demnach seien der blosse Erwerb und die Ausübung des Eigentums durch Veräusserung nicht als steuerbare Nutzung eines Gegenstands durch seinen Eigentümer zu betrachten, wenn sie im Rahmen einer Vermögensverwaltung durch private Anleger ausgeführt würden. Entscheidend sei vielmehr, ob die betreffende Person «aktive Schritte zum Vertrieb» unternimmt, indem sie sich «ähnlicher Mittel bedient wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender» (Urteil des EuGH vom 15. September 2011 C-180/10 und C-181/10). Die Sichtweise entspreche gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung weitgehend der Schweizer Sichtweise.
 
 

Die einmalige Vermittlung im Rahmen einer Immobilien-Transaktion als «nachhaltig»

Der entschiedene Fall betraf eine Immobilienvermietung, die mangels Option der Mietverhältnisse nicht obligatorisch steuerpflichtig war und sich auch nicht freiwillig der Mehrwertsteuer unterstellt hatte (Beschwerdeführerin). Die Beschwerdeführerin erhielt die Gelegenheit, im Rahmen eines Grundstücksdeals einmalig als Vermittlerin tätig zu werden. Hierfür erhielt sie als Entgelt einen Prozentsatz vom Verkaufserlös. Im Rahmen einer MWST-Prüfung kam die ESTV zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Maklertätigkeit einen neuen Betriebszweig eröffnet hätte und daher obligatorisch steuerpflichtig geworden sei. Hiergegen wandte sich die Beschwerdeführerin u.a. mit dem Argument, es habe sich bei der Vermittlung um eine einmalige Gelegenheit ohne Wiederholungsabsicht
gehandelt.
 
Dieser Argumentation schliesst sich das Gericht nicht an und weist die Beschwerde im Ergebnis ab. Dabei betont es insbesondere das Kriterium des planmässigen Vorgehens über einen längeren Zeitraum (vorliegend mindestens sechs Monate) und verweist insofern explizit auf die von Teilen der Lehre entwickelten Abgrenzungskriterien, vgl. E 3.2.2.3. In seine Erwägungen bezieht das Gericht zudem ein, «dass das Geschäft für die Beschwerdeführerin äusserst einträglich war», E 3.2.2.4. Zwar dürfe die Einträglichkeit nicht allein als Abgrenzungskriterium herangezogen werden, im Sinne einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls sei die Einträglichkeit aber sehr wohl mit zu berücksichtigen. Dies umso mehr, als es vorliegend nicht so sehr um die Höhe des Entgelts als solche ginge, sondern vielmehr um die Rentabilität der Transaktion: «In Grenzfällen, bei welchen andere Indizien nicht stark ausgeprägt sind, kann nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung diese bzw. die Gewinnerzielungsabsicht durchaus ein Indiz für eine nachhaltige Tätigkeit darstellen (Urteil des BGer 2C_814/2013 vom 3. März 2013 E. 2.3.3)», E 3.2.2.4.
 
 

Fazit

Einzeltransaktionen können die Steuerpflicht begründen – sei es aufgrund erstmaligen unternehmerischen Tätigwerdens oder im Sinne einer Eröffnung eines neuen Betriebszweigs wie im hier entschiedenen Fall. Die
Abgrenzung von der privaten zur nachhaltig unternehmerischen Tätigkeit gestaltet sich dabei schwierig und bedarf einer Gesamtschau aller Umstände des konkreten Einzelfalls. Insbesondere Transaktionen über hochpreisige Gegenstände, bei denen sich der eigentliche Geschäftsabschluss über einen längeren Zeitraum anbahnt und die eine gewisse «Marktinitiative» benötigen (z.B. Immobilien, Kunstwerke, Sammlungsstücke), können als nachhaltig unternehmerisch gelten und damit eine Steuerpflicht auslösen. Die konkreten Folgen sollten gründlich geprüft werden und im Rahmen der Transaktionsverhandlungen entsprechende Berücksichtigung finden (MWST-Klauseln, Optieren als Alternative etc.). Bei der Gesamtschau kann insbesondere auch auf eine mögliche Gewinnerzielungsabsicht abzustellen sein – dies im Gegensatz zum Gesetzeswortlaut, der allein auf die
Einkünfteerzielungsabsicht abstellt.
 

Wer Investitionen in Kryptowährungen und andere digitale Vermögenswerte tätigt, sollte die potenziellen Steuerfolgen daraus im Auge behalten. So können unter Umständen die bei Privatpersonen gewöhnlich steuerfreien Kapitalgewinne aus der Veräusserung von beweglichem Vermögen in Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit umqualifiziert werden und unterliegen damit entsprechend der Einkommenssteuer sowie den Sozialversicherungsbeiträgen.

 

Volatilität bei den Kryptowährungen

Aufgrund der seit einigen Monaten andauernden eher trüben Stimmung an den Kryptobörsen mag sich der Anlegeenthusiasmus einiger Investoren etwas gelegt haben. Dennoch gilt es auch weiterhin, gewisse steuerliche Konzepte im Auge zu behalten, damit es bei Erhalt der definitiven Steuerrechnung nicht zu einem bösen Erwachen kommt.

Grundsätzlich realisieren Privatpersonen bei der Veräusserung von beweglichen Vermögenswerten einen steuerfreien Kapitalgewinn. Dies setzt jedoch voraus, dass der Vermögenswert im Privatvermögen gehalten wird. Wird der private Investor aufgrund der Intensität seiner Investitionstätigkeiten jedoch als gewerbsmässiger Wertschriftenhändler angesehen, veräussert er Geschäftsvermögen, mit der Folge, dass der Kapitalertrag der Einkommenssteuer sowie den Sozialversicherungsbeiträgen unterliegt.

 

Vorprüfung mit Checkliste

Zur Prüfung, ob ein solches Risiko besteht, empfiehlt sich ein zweistufiges Vorgehen. Als erste Kontrollprüfung, ob die eigenen Trading-Tätigkeiten als gewerbsmässiger Wertschriftenhandel qualifizieren, hilft ein Griff zum Kreisschreiben Nr. 36 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 27. Juli 2012. Darin wird anhand von fünf konkreten Kriterien überprüft, wann in jedem Fall die Realisierung eines steuerfreien Kapitalgewinns und keine Qualifikation als gewerbsmässiger Wertschriftenhändler vorliegt.

Sowohl die Eidgenössische Steuerverwaltung in ihrem Arbeitspapier zur Besteuerung von Kryptowerten als auch (vermehrt) die jeweiligen Kantone, wie beispielsweise Zug, Luzern und Zürich, verweisen jeweils auf dieses Kreisschreiben zur Abgrenzung der privaten Vermögensverwaltung von digitalen Vermögenswerten und Kryptowährungen vom gewerbsmässigen Wertschriftenhandel.

Konkret wird ein gewerbsmässiger Wertschriftenhandel ausgeschlossen, wenn kumulativ folgende Kriterien erfüllt werden:

  1. Die Haltedauer der veräusserten Wertschriften beträgt mindestens sechs Monate.

  2.  Das Transaktionsvolumen (entspricht der Summe aller Kaufpreise und Verkaufserlöse) pro Kalenderjahr beträgt gesamthaft nicht mehr als das Fünffache des Wertschriften- und Guthabenbestands zu Beginn der Steuerperiode.

  3. Das Erzielen von Kapitalgewinnen aus Wertschriftengeschäften bildet keine Notwendigkeit, um fehlende oder wegfallende Einkünfte zur Lebenshaltung zu ersetzen. Das ist regelmässig dann der Fall, wenn die realisierten Kapitalgewinne weniger als 50% des Reineinkommens in der Steuerperiode betragen.

  4. Die Anlagen sind nicht fremdfinanziert, oder die steuerbaren Vermögenserträge aus den Wertschriften (wie z. B. Zinsen, Dividenden usw.) sind grösser als die anteiligen Schuldzinsen.

  5. Der Kauf und Verkauf von Derivaten (insbesondere Optionen) beschränkt sich auf die Absicherung von eigenen Wertschriftenpositionen.
 
Die ursprünglich für Wertschriftenportfolios in einer «Vor-Krypto-Welt» entwickelte Checkliste gerät bei der Beurteilung von Anlagen in Kryptowerten jedoch an ihre Grenzen.

Bei Tauschgeschäften erfolgt die Bezahlung anstelle mit Geld grundsätzlich durch die Erbringung einer Gegenleistung die Verrechnung mit einer Gegenforderung. Solche tauschähnlichen Geschäfte sind in der Praxis ein gängiges Mittel, um gegenseitige Leistungen ohne Geldfluss auszugleichen. Aber Vorsicht: Auch wenn kein Geld fliesst, ist die Mehrwertsteuer geschuldet und ordnungsgemäss abzuführen.

 

Die Mehrwertsteuerliche Behandlung von Tauschgeschäften

Im Grundsatz gilt, dass Leistungen, die durch steuerpflichtige Personen im Inland gegen Entgelt erbracht werden, der Schweizer Mehrwertsteuer (MWST) unterliegen, sofern diese Leistungen nicht von der Steuer ausgenommen oder befreit sind.

Als Entgelt versteht sich der Vermögenswert, den der Leistungsempfänger für den Erhalt einer Leistung aufwendet. Begleicht der Leistungsempfänger die Forderung des Leistungserbringers anders als durch Geldzahlung (z.B. durch Erbringung einer Leistung), bemisst sich das Entgelt nach dem Betrag, der dadurch ausgeglichen wird. Dies bedeutet, dass die beiden Vertragspartner den vollen Wert der eigenen Leistung (als Aufwand) und den vollen Wert der als Gegenleistung erhaltenen Leistung (als Ertrag) zu verbuchen haben. Beide Vertragspartner versteuern den Gesamtwert der vom anderen Vertragspartner erbrachten Leistung zum massgebenden Steuersatz. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein IT-Unternehmen für die Einrichtung der IT-Infrastruktur bei einem Treuhänder beauftragt wird und im Gegenzug der Treuhänder für dieses IT-Unternehmen die Buchhaltung erstellt (weitere Erläuterungen zu diesem Beispiel unten im Text).

 

Besonderheiten bei Tauschgeschäften

Bei Tauschgeschäften sind beide Vertragspartner zugleich Leistungserbringer und -empfänger. Soweit die Steuerpflicht besteht, hat jeder die ihm erbrachte Leistung (als Entgelt für die eigene Leistung) voll zu versteuern.

 Die Besonderheit bei Tauschgeschäften ist zudem, dass die Gegenleistung des Abnehmers anders als durch Geldzahlung (z.B. Erbringung einer Gegenleistung) erfolgt (sog. Leistung an Zahlungs statt). Sind Leistung und Gegenleistung von gleichem (Markt-)Wert, führt dies dazu, dass zwischen den beiden Parteien kein Geld fliesst. Unterscheidet sich der Wert zwischen Leistung und Gegenleistung, dann findet trotz Verrechnung ein Geldfluss, jedoch im reduzierten Masse, statt (Bezahlung des Differenzbetrags).

Bei Tauschverhältnissen gilt jeweils der Marktwert (z.B. Listenpreis) jeder Leistung als Entgelt für die andere Leistung. Entspricht der Marktwert der Leistungen des IT-Unternehmens beispielsweise CHF 10 000.– (exkl. MWST), so gilt dieser Wert als Entgelt für die vom Treuhänder an das IT-Unternehmen erbrachte Leistung. Der Treuhänder hat dieses Entgelt als Umsatz zu versteuern.

Auf Distributed-Ledger-Technologien (DLT) wie z.B. Blockchain basierende Krypto-Assets erobern mehr und mehr den Markt. Dies gilt derzeit insbesondere für NFT und den Kunstmarkt.1 Obwohl das Handelsvolumen laut Crypto Valley Journal2 aktuell bei rund USD 100 bis 200 Mio. pro Monat liegt, wird dem NFT (Non-Fungible Token) vom Gesetzgeber und auch von der Verwaltungspraxis gerade im MWST-Bereich nur zögerlich Aufmerksamkeit geschenkt. Es stellt sich die Frage, ob es für Transaktionen mit diesen speziellen Token eine besondere MWST-Regelung braucht oder ob die aktuellen gesetzlichen Vorschriften genügen.

Was ist ein NFT?

Krypto-Assets sind digital generierte und handelbare Wirtschaftsgüter, die auf einer DLT basieren. Diese werden in zwei Gruppen eingeteilt:

  • in sogenannte Fungible Token (FT, zu denen z.B. auch die Digitalwährungen Bitcoin oder Ether gehören): Diese haben aus sich selbst heraus keinen Wert. Sie sind untereinander austauschbar und teilbar (engl.: fungible). Sie
    sind vergleichbar mit Fiatgeld, also Währungen wie Schweizer Franken, Euro und US-Dollar.
  • in sogenannte Non-Fungible Token, die aufgrund des in ihnen repräsentierten konkreten Vermögenswerts einzigartig und nicht beliebig untereinander austauschbar (engl.: non-fungible) sind. So besteht die Einzigartigkeit der Non-Fungible Token (NFT) darin, dass jeder einzelne Token einen ganz bestimmten physischen oder digitalen Vermögenswert auf einer DLT (oft Blockchain) repräsentiert, wobei der NFT regelmässig nur einen Verweis auf einen digitalen Speicherort enthält – nicht den repräsentierten Vermögenswert selbst.

FT in Form von Digitalwährungen, inbesondere Bitcoin, sind der breiteren Öffentlichkeit bereits seit über einem Jahrzehnt bekannt, in El Salvador gilt Bitcoin seit 2021 gar als offizielles Zahlungsmittel. Aber NFT erobern mehr und mehr den Markt und werden insbesondere im Kunsthandel immer beliebter. Dies zeigt sich eindrücklich an den folgenden Zahlen (Stand Januar 2023):

  • weltweiter Wert des NFT-Markts: EUR/CHF +16 000 Mio.
  • Prognosen zum Wachstum des NFT-Markts: USD +174 Mrd. bis 2026

Es ist also Zeit, dass sich Gesetzgeber weltweit mit Krypto-Assets bzw. NFT befassen, um für die Anwender Rechtssicherheit zu gewährleisten. 

Aktuelle Rechtslage in der Schweiz

Tatsächlich hat die Schweiz am 1. August 2021 spezielle gesetz-liche Regelungen für DLT in Kraft gesetzt, und zwar in Form des DLT-Gesetzes und der dazugehörenden Mantelverordnung. Einhergehende Änderungen im OR, welche die Einführung von Wertrechten auf einer Blockchain ermöglichen, sind am 1. Februar 2021 in Kraft getreten.4

Die ESTV hat den Bedarf für eine Klarstellungen im Zusammenhang mit der MWST bereits früher erkannt und schon Mitte 2019 für die Praxis wichtige Leitfäden für die Leistungen im Zusammenhang mit Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologie und für die Verwendung von Token ausgearbeitet. Diese wurden insbesondere in die MWST-Info 04, Steuerobjekt, unter den Ziffern 2.7.3 in-tegriert.5 Dabei geht die ESTV jedoch nicht explizit auf die unterschiedlich ausgestalteten Token als FT oder als NFT ein.

Es stellt sich nun die Frage, ob die bestehenden Regelungen genügen, um Leistungaustausche, die NFT beinhalten, für MWST-Zwecke rechtssicher zu beurteilen.

Klassifizierung von Krypto-Assets

Gemäss der publizierten Praxis un-terscheidet die ESTV bei Kryptocoins und -token zwischen Zahlungs-, Nutzungs- und Anlagetoken, die sie in der MWST-Info 04 «Steuerobjekt», Zif-fer 2.7.3.1 jeweils wie folgt definiert:

  • Zahlungscoins/-token (sog. Payment Coins/Token)

Kryptocoins/-token, die als reine Zahlungscoins/-token ausgestaltet sind, dienen keinem anderen Zweck als der Verwendung als Zahlungsmittel für den Erwerb von Lieferungen und/oder Dienst-leistungen bei einem oder mehreren Leistungserbringern. Zahlungs-coins/-token berechtigen daher nicht zum Bezug bestimmter beziehungsweise bestimmbarer Leistungen, sondern stellen lediglich das vereinbarte Zahlungsmittel dar.

  • Nutzungscoins/-token

(sog. Utility Coins/Token) Berechtigen Kryptocoins/token zum Bezug von bestimmten oder bestimmbaren Leistungen und/oder gewähren sie ein Zugangsrecht zu einer Plattform, einer Applikation oder Ähnliches (Li-zenz oder lizenzähnliches Recht), handelt es sich um sogenannte Nutzungscoins/-token.

  • Anlagecoins/-token

(sog. Asset [Backed] Coins/Token) Geben Kryptocoins/-token beispielsweise Anspruch auf Beteiligung am Ertrag, Umsatz, Gewinn, einen bestimmten Teil des Ertrags oder Umsatzes, derivative Rechte oder Ähnliches, handelt es sich um sogenannte Anlagecoins/-token. Anlagecoins/-token basieren stets auf einem vertraglichen Rechtsverhältnis, begründen daher kein gesellschaftsrechtliches Beteiligungsverhältnis und berechtigen nicht zur Rückzahlung des ursprünglich einbezahlten Betrags.

Hinweis

Dabei ist es nach Ansicht der ESTV möglich, dass Kryptocoins/-token auch in Mischformen der oben genannten Typisierungen vorkommen, wobei die Grundsätze der Leistungskombination nach Art. 19 Abs. 2 MWSTG zur Anwendung gelangen.

Einordnung von NFT in die Klassifizierung der ESTV

Zu prüfen ist demnach, ob sich NFT in die bestehende Klassifizierung problemlos einordnen lassen.

NFT als Zahlungstoken

Es liegt im Wesen eines Zahlungstoken, der als Zahlungsmittel dienen soll, dass er grundsätzlich aus-tauschbar und teilbar sein muss, um seiner angedachten Funktion gerecht werden zu können. Insofern scheint es wenig wahrscheinlich, dass NFT – denen das Element der Austauschbarkeit ja explizit fehlt – so ausgestaltet werden, dass sie in die Kategorie eines Zahlungstoken im Sinne der Definition der ESTV fallen.

NFT als Anlagetoken

Ähnlich dürfte regelmässig die Beurteilung von Token ausfallen, die ein Anrecht auf einen Anteil des Gewinns oder des Umsatzes oder Ähnliches gewähren: Diese sind zwar einem bestimmten Leistungsanspruch zugeordnet und «verbriefen» dieses sozusagen in digitaler Weise. Sofern sie aber untereinander inhaltlich identische Ansprüche verbriefen, dürften solche Token, die als Anlagetoken im Sinne der ESTV qualifizieren, beliebig untereinander austauschbar sein. Denkbar ist z.B., dass der Token eine Beteiligung mit der inhaltlichen Entsprechung einer Stammaktie repräsentiert.6 Denn anders als Namen- oder Vorzugsaktien dürften Stammaktien als solche austauschbar sein.7

Auf der anderen Seite ist es durch-aus denkbar, dass ein Token so ausgestaltet ist, dass er einen einzigartigen Anspruch oder eine in dieser Form einzigartige Kombination von Ansprüchen repräsentiert, die ihn eben gerade nicht beliebig aus-tauschbar machen (in Entsprechung beispielsweise zu einer Vorzugsaktie mit einem einmalig gewährten Vorzugsrecht). Ein solcher nicht aus-tauschbarer Token, der im Übrigen die Voraussetzungen der ESTV erfüllt, muss als Anlagetoken qualifizieren.

NFT als Nutzungstoken

Nutzungstoken gewähren gemäss Definition der ESTV ein Recht auf eine bestimmte (oder zumindest bestimmbare) Leistung und/oder geben ein Zugangsrecht zu einer Plattform, einer Applikation oder Ähnliches (haben also eine Art Lizenzfunktion inne).

Diese Funktion entspricht  – zumindest zum aktuellen Zeitpunkt – der wesentlichen Funktion von NFT. Um beim Beispiel Kunstmarkt zu bleiben, kann der entsprechende Token beispielsweise den Link zum Speicherort des eigentlichen (digitalen) Kunstwerks beinhalten oder als «digitales Eigentumszertifikat» für eine real existierende Skulptur dienen. Der Token repräsentiert damit bestimmte Rechte an einem bestimmten oder bestimmbaren digitalen oder physischen Wert. In dieser Funktion lässt er sich in die Klassifikation der ESTV als Nutzungstoken einordnen. Davon unabhängig zu beurteilen ist nach Auffassung der Autoren die Frage, ob der bestimmte oder bestimmbare Wert auch bereits die Qualität einer mehrwertsteuerlichen Leistung auf-weist. Die damit einhergehenden Fragen zum Zeitpunkts der Entstehung der Steuerforderung sind Gegenstand des zweiten Teils dieses Artikels. 

Hinweis

Damit scheint die Antwort auf die Frage recht simpel und zunächst gelöst: NFT dürften sich in der Terminologie der ESTV regelmässig als Nutzungs oder als Anlagetoken qualifizieren lassen. Die Qualifikation als Zahlungstoken scheint zum ak-tuellen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich.

Nach Ansicht der ESTV richtet sich die mehrwertsteuerliche Behandlung aus Herstellung, Übertragung, Aufbewahrung und Handel von Krypto-Assets nach ihrer Einordnung in die MÄRZ 2023 vorstehend genannten Kategorien. Da sich NFT nach Ansicht der Autoren in die vorhandenen Kategorien einteilen lassen, kann daher fest-gehalten werden, dass es insofern tatsächlich keine Notwendigkeit für spezifische auf NFT zugeschnittene Regelungen zu geben scheint.


Freilich sind dadurch die praktischen Probleme, die sich bei der Bestimmung des Orts der Leistung oft da-durch ergeben, dass viele am Handel Teilnehmende nur unter Pseudonymen auftreten, nach wie vor ungelöst. Diese Fragestellungen werden in einer Fortsetzung dieses Artikels separat behandelt.

Ein Blick über die Grenze in die EU

In der EU ist im Juni 2022 die MiCA-Verordnung in Kraft getreten. Diese soll in den Mitgliedstaaten eine einheitliche Regelung im Umgang mit Kryptowerten gewährleisten. Weiter arbeitet die EU-Kommission unter dem Titel «VAT in the Digital Age (ViDA)» intensiv daran, die MWST für eine digitalisierte Welt fit zu machen. Allerdings geht es hier weniger um die materielle mehrwertsteuerliche Qualifikation von Token oder dem Handel mit digitalen Werten.8

Insgesamt kann festgehalten werden, dass zumindest auf EU-Ebene, namentlich der MWST-Richtlinie, keine speziellen Regelungen zur Handhabung von NFT existieren. Auch Gerichtsurteile zum Thema sind noch selten. Es ist abzusehen, dass die EU-Mitgliedstaaten basierend auf der MWST-Richtlinie der EU nach und nach jeweils Ansätze dazu entwickeln, die sich von Land zu Land im Detail unterscheiden. Dies macht es gerade für international tätige Unternehmen schwierig, den Durchblick zu behalten. Mit Blick auf die wachsende Bedeutung des NFT-Handels wäre es sicher hilfreich, wenn die EU-Kommission sich damit befassen und eine Harmonisierung anstreben würde.

Fazit

Zwar werden NFT in den aktuellen MWST-Regelungen und den Praxispublikationen nicht explizit erwähnt, die aktuell geltenden Vorschriften sind aber durchaus hinreichend, um eine Kategorisierung vorzunehmen, die nach Ansicht der ESTV die Grundlage bilden soll für die konkreten mehrwertsteuerlichen Folgen von Herstellung, Übertragung, Aufbewahrung und Handel von NFT.


Ob diese konkreten mehrwertsteuerlichen Folgen den spezifischen Problemen dieser neuen Technologie hinreichend Rechnung tragen und welche Risiken sich hieraus für die Teilnehmer am NFT-Markt ergeben, wird im zweiten Teil dieses Artikels eingehender diskutiert.

 

1 www.forbes.at/artikel/the-5-most-expensive-nfts-on-the-market.html, besucht am 30. Januar 2023.

2 https://cvj.ch/invest/der-aktuelle-stand-der-nft-maerkte-januar-2023/, besucht am 30.  Januar 2023.

3 https://hellosafe.ch/de/newsroom/report-statis-tik-nft, besucht am 30. Januar 2023.

4 www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/me-dienmitteilungen.msg-id84035.html

5 Die ESTV orientiert sich an der Klassifikation der FINMA, behält sich aber ausdrücklich vor, Token und Coins abweichend von der FINMA zu qualifizieren.

6 Es gilt allerdings zu beachten, dass Anlagecoins/ -token gemäss ESTV lediglich ein vertragliches Rechtsverhältnis, jedoch kein gesellschaftsrechtliches Beteiligungsverhältnis begründen (Vgl. MI 04, «Steuerobjekt», Punkt 2.7.3.1).

7 www.investopedia.com/terms/f/fungibility.asp, besucht am 30. Januar 2023.

8 Vielmehr gibt es drei Teilprojekte, die sich mit den Auswirkungen und Möglichkeiten von Interaktionen via digitaler Medien und der damit verbundenen, notwendigen Betrugsbekämpfung beschäftigen: Digital Reporting Rules (hier geht es um digitale Meldepflichten zwischen Steuerpflichtigem und den Behörden), Single VAT Registration (mit nur einer Registrierung in einem EU-Mitgliedstaat sollen Steuerpflichtige inskünftig mehr Transaktionsarte abwickeln können, die sonst zu Registrierungspflichten in mehreren Staaten bedingen würden) und Platform Economy (hier geht es im Wesentlichen darum, wie die korrekte Abrechnung der MWST durch Anbieter, die ihre Produkte über eine Inetrnet-Platform vertreiben, sichergestellt werden kann). 

NFT erobern mehr und mehr den Markt, das Potenzial scheint nahezu unbegrenzt. Im ersten Teil des Artikels (1)  wurde dargelegt, wie sich NFT definieren und wie sie sich in die vorhandenen MWST-Regelungen eingliedern lassen. In diesem zweiten Teil soll beleuchtet werden, ob die konkreten MWST-Folgen den spezifischen Problemen dieser neuen Technologie hinreichend Rechnung tragen und welche Herausforderungen sich im Rahmen von Herstellung, Übertragung, Verwendung und Aufbewahrung sowie Handel von bzw. mit NFT für die Teilnehmer am Markt ergeben.

Wie im ersten Teil des Artikels erläutert, dürften NFT im Rahmen der derzeitigen Anwendungsfelder regelmässig als Nutzungstoken zu qualifizieren sein, wobei bei entsprechender Ausgestaltung auch eine Subsumption unter der Definition des Anlagetokens möglich erscheint. Die Existenz von Mischformen wird von der ESTV explizit anerkannt. Sie bietet in ihrer Praxispublikation einen Leitfaden, wie die Herstellung bzw. Ausgabe, der Handel, die Verwendung und die Aufbewahrung von Nutzungs- sowie Anlagetoken mehrwertsteuerlich zu beurteilen sind. Dabei bleiben aber Fragen offen, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

Praxisfragen bei der Herstellung von NFT

Die ESTV äussert sich nicht explizit zur Frage, wie die Herstellung («Minting») eines NFT mehrwertsteuerlich zu bewerten ist. Das Minting eines NFT dürfte nicht von der MWST erfasst werden, sofern es nicht in einen Leistungsaustausch eingebettet ist (z.B. wenn ein Künstler ein NFT im Rahmen seines Schaffens erstellt). Aber wie sieht es aus, wenn das NFT vom Künstler im Auftrag einer anderen Person gemintet wird, möglicherweise sogar direkt in dessen Wallet, sodass formal keine weitere Übertragungshandlung notwendig ist? Hier dürften in Wahrheit trotz der gefühlten Einheitlichkeit des Vorgangs rechtlich dennoch zwei voneinander zu unterscheidende Handlungen vorliegen, die nacheinander vollzogen werden: das (nicht im Anwendungsbereich der MWST liegende) Minten im Sinne der blossen Generierung des NFT sowie die (anschliessend erfolgende) Übertragung der im NFT verkörperten Werte.

Kniffliger wird es, wenn im NFT letztlich Werte verkörpert werden, die dem Dritten bereits gehören (z.B. wird ein NFT im Auftrag des Dritten gemintet, welches lediglich die Bestätigung des Eigentums des Dritten an einem bestimmten Gegenstand bestätigen soll). Denn hier wird das NFT, welches seinen Wert ja nur durch das durch ihn verkörperte Gut erhält, sozusagen selber zum Handelsgut. Darauf kommen wir gleich im nächsten Abschnitt zurück.

Praxisfragen bei der Ausgabe/ initiale Übertragung von NFT

Da es sich bei NFT regelmässig um Nutzungs- oder gegebenenfalls Anlagetoken handelt, ist laut Praxis der ESTV für die mehrwertsteuerliche Behandlung im Rahmen der Ausgabe und der Übertragung auf das durch den Token verkörperte Gut abzustellen. So kann es sich bei der entgeltlichen Ausgabe eines NFT um eine steuerbare oder von der Steuer ausgenommene Dienstleistung oder Lieferung handeln, je nachdem, welche Leistung genau durch das NFT verkörpert wird. Diese Sichtweise erscheint logisch und leuchtet ein, sofern dem NFT eine vom durch ihn repräsentierten Wert unabhängige Existenz und damit ein selbständiger Wert abgesprochen wird. Gerade im oben erwähnten (in den Publikationen der ESTV nicht erwähnten) Beispiel, bei dem jemand beauftragt wird, ein NFT zu generieren, welches mit einem Wert verknüpft ist, der dem Auftraggeber aber bereits gehört, greift diese Sichtweise nach Auffassung der Autoren zu kurz. Denn für den Auftraggeber dürfte sich der Wert des NFT völlig unabhängig vom durch ihn repräsentierten Wert bestimmten, denn das zugrundeliegende Gut steht ja bereits in seinem Eigentum. Ziel des Auftraggebers ist es in einem solchen Fall daher nicht, das Recht am dem NFT zugrundeliegenden Wert zu erwerben, sondern lediglich, seinen besonderen damit verbundenen Status in digitaler Weise zu verbriefen. Warum dann aber für die Qualifikation der Leistung (als Lieferung oder Dienstleistung) sowie den Ort der Leistung auf den im NFT verbrieften Wert abgestellt werden soll, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Einleuchtender und sachgerechter dürfte in einem solchen Fall wohl die Annahme sein, der Hersteller des Token erbringe eine elektronische Dienstleistung. 

Werden NFT auf einen Dritten übertragen, um damit erbrachte Leistungen zu entschädigen, liegt laut ESTV grundsätzlich ein Tauschverhältnis vor, bei dem der Marktwert jeder Leistung als Entgelt für die andere Leistung gilt. Die sich gegenüberstehenden Leistungen sind mehrwertsteuerlich dementsprechend nach der Art und Wert der jeweiligen Leistung zu beurteilen (2). Dies erscheint sachgerecht, denn ein NFT ist definitionsgemäss eben nicht als blosses Zahlungsmittel zu verstehen.Wie eingangs erwähnt anerkennt die ESTV die Möglichkeit ausdrücklich an, dass es sich bei bestimmten Token um Mischformen handeln kann, die Eigenschaften z.B. eines Nutzungstoken mit denen eines Zahlungs- oder Anlagetoken (3) verbinden. Bietet ein Anlage- bzw. Nutzungstoken zusätzlich eine Zahlungsfunktion, so verneint die ESTV jedoch das Vorliegen einer Kombination verschiedener Leistungen, es bleibe bei einem (reinen) Anlage- bzw. Nutzungstoken. Unklar ist, auf welche Rechtsnorm sich die ESTV beruft, wenn sie im Falle einer Kombination von Nutzungs- und Anlagetoken die Vermutung formuliert, die Anlagefunktion sei überwiegend, der Token damit als Anlagetoken zu behandeln. Es dürfte sich hier wohl um eine widerlegbare Vermutung handeln, die gestützt auf eine konkrete Fallkonstellation umgestossen werden kann. Immerhin erscheint die von der ESTV formulierte Praxis als pragmatisch und praktikabel, denn sie entbindet den Steuerpflichtigen von der Notwendigkeit, den Status der Token mühsam zu belegen und bietet dadurch eine gewisse Rechtssicherheit auf relativ neuem Terrain.

Praxisfragen beim Handel mit und der Verwendung von NFT

Gleich wie bei der initialen Übertragung von NFT bestimmen sich Art der Leistung und Ort der Leitungserbringung im Falle des An- und Verkaufs von NFT basierend auf der durch sie verkörperten Leistung. So mündet der Handel mit NFT in einer steuerbaren Leistungen, sofern der Ort der im Kryptotoken enthaltenen Leistung im Inland liegt und keine Steuerausnahme nach Art. 21 Abs. 2 MWSTG zur Anwendung kommt (4).

Dies klingt soweit recht einfach. Es gilt aber zu beachten, dass ein Nutzungstoken gemäss der auch von der ESTV anerkannten Definition (5) einen lediglich bestimmbaren Wert verkörpern kann. In solchen Fällen rückt der Nutzungstoken konzeptionell in die Nähe eines Gutscheines. Wenn aber die Leistung im Zeitpunkt der Übertragung lediglich bestimmbar ist, stellt sich die Frage, wie sich genau der Leistungszeitpunkt und damit der Moment der Entstehung der Steuerschuld bestimmt? Bezogen auf einen NFT (im Sinne einer Unterart des Nutzungs- oder Anlagetokens) kann bei der Beantwortung dieser Frage zunächst hilfreich sein, sich die Einzigartigkeit eines NFT in Erinnerung zu rufen. Das Erfordernis der Einzigartigkeit macht es eher unwahrscheinlich, dass ein NFT ein lediglich bestimmbares Gut verkörpert, z.B. eine Flasche Domaine de la Romanée-Conti, Jahrgang 2002. Vielmehr muss es dann eine ganz bestimmte Flasche sein. Damit ist auch klar, dass im Moment der Übertragung eines NFT im Rahmen eines Handels meist schon klar ist, welcher Vermögenswert genau durch ihn verkörpert ist, wobei dieser bzw. das Recht an diesem zeitgleich mit dem NFT übertragen wird. Es ist zu beachten, dass der Nutzer von da an unendlich oft auf das durch den NFT verkörperte Recht zugreifen kann, das NFT verbraucht sich sozusagen nicht. Damit kann der Leistungszeitpunkt nicht abweichend vom Zeitpunkt der Übertragung des NFT bestimmt werden (anders ist dies im Zusammenhang mit normalen Nutzungstoken, die keine NFT darstellen: normale Nutzungstoken können verwendet und damit sozusagen verbraucht werden, z.B. wenn sie Zugang zu einer bestimmten Speicherkapazität vermitteln. Hier können die Übertragung des Token und dessen Verwendung zeitlich auseinanderliegen. Die Frage zum Zeitpunkt der Leistung beantwortet die ESTV dahingehend, dass der dieser im Augenblick der Verwendung des Tokens und damit der Realerfüllung festzulegen ist).

Ein anderer Punkt, der in der Praxis beim Handel mit NFT, die einen Immateriellen Wert verkörpern und damit bei der Übertragung als Dienstleistung qualifizieren, zu Schwierigkeiten führen kann, ist, dass im Rahmen des NFT-Handels die Transaktionsteilnehmer oft anonym bzw. via Pseudonymen auftreten. Denn gestützt auf Art. 8 Abs. 1 MWSTG gilt als Ort der Dienstleistung der Ort, an dem der Empfänger oder die Empfängerin der Dienstleistung den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine Betriebstätte hat. Treten die Käufer anonym auf, ist es fast unmöglich, den Empfänger und damit den Ort der Leistung rechtssicher zu identifizieren. Dies gilt um so mehr dort, wo sämtliche relevanten Vorgänge in einer Transaktion automatisiert über einen sog. Smart Contract geregelt werden
Den Anbietern von NFT bleibt da oft nur, Transaktionen nur dann einzugehen, wenn der Käufer sich z.B. im Rahmen eines Know-Your-Costumer Prozesses mit seinem bürgerlichen oder seiner offiziellen Firma zu erkennen gibt und entsprechende Belege dazu einreicht (z.B. Ausweiskopie und/oder Auszug aus dem Melderegister oder Handelsregisterauszug).

Ein (gewagter) Blick in die Zukunft

Wie am obigen Beispiel des Wie am obigen Beispiel des Auftrages zur Herstellung eines NFT zur Verkörperung eines bereit sich im Eigentum des Auftraggebers befindenden Vermögenswertes dargelegt, kann die in der aktuellen Rechtslage vorgesehene Gleichstellung des NFT mit dem durch ihn verkörperten Vermögenswert  in der realen Welt durchaus Schwierigkeiten bereiten. Es ist zu beachten, dass aktuell zivilrechtliches Eigentum in vielen Rechtsordnungen nur an Sachen möglich, so legt es in der Schweiz auch Art. 641 Abs. 1 ZGB fest. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff «Sache» im Zivilrecht sehr eng zu verstehen ist und daher ausschliesslich körperlich existierende Gegenstände und Werke versteht. Dies hat weitreichende Konsequenzen, denn wenn kein Eigentum an einem NFT selbst möglich ist, weil es ihm an Körperlichkeit fehlt, kann es selbst nicht gestohlen werden. Unabhängig der Rechtskonstrukte führt dies dann dazu, dass der zugrundeliegende Vermögenswert demjenigen gehört, der das NFT hat, ganz egal, wie dieser in seinen Besitz gelangt ist («code is law»). Im Falle eines Diebstahls des NFT gibt es dann allenfalls einen Schadenersatz-, aber keinen Herausgabeanspruch. Dass dies nicht immer zu einem das Gerechtigkeitsgefühl befriedigenden Resultat führt, dürfte klar sein.
Umso bemerkenswerter ist, dass jüngst ein Britisches Gericht (High Court) in revolutionärer Weise die Möglichkeit des zivilrechtlichen Eigentums an NFT selbst anerkannt hat (6). Auch ein chinesisches Gericht hat den NFT als gesetzlich geschütztes virtuelles Eigentum betrachtet (7).

Sollte sich daraus ein Trend entwickeln, könnten nach Ansicht der Verfasser Auswirkungen auf das MWST-Recht nicht ausgeschlossen werden. Zumindest eine Publikation der Praxis der ESTV spezifisch zu NFT wäre dann wünschenswert. Denn wenn das NFT selber eine eigenständige Stellung als handelbarer Vermögenswert erhält, die unabhängig vom durch ihn verkörperten (virtuellen oder physischen) Gegenstand ist, dann muss die MWST-liche Behandlung des Handels mit NFT eben auch unabhängig davon erfolgen. Folgerichtig müsste die Frage gelöst werden, ob jeder Handel dann automatisch zu zwei Leistungsströmen führen würde, einmal bezüglich des NFT und einmal bezüglich des durch ihn verkörperten Vermögenswertes? Und wie wäre das NFT selber dann zu bewerten, als IP-Recht? Oder als elektronisch erbrachte Dienstleistung? Oder als Dienstleistung eigener Art? Nach welchen Grundsätzen wäre das Entgelt auf diese beiden Leistungen aufzuteilen? Würde eine Gesamtleistung oder eine Leistungskombination vorliegen, oder wäre das NFT als Nebenleistung zu beurteilen, der darin verkörperte Wert als die Hauptleistung?

Fazit

Die vorhandenen Regelungen scheinen auf dem ersten Blick hinreichend zu sein, um auch in der Praxis zu praktikablen Lösungen zu führen. In Einzelfällen kann es aber dennoch knifflig sein, die mehrwertsteuerliche Behandlung von Transaktionen mit NFT rechtssicher zu beurteilen. Es bleibt abzuwarten, ob die sich rasant entwickelnde wirtschaftliche Bedeutung von NFT auch zu separaten, speziell auf sie zugeschnittene MWST-Regelungen führen wird.

AUTOREN

Christoph Drexl ist Partner bei der Primetax AG. Er ist spezialisiert auf den Bereich Mehrwertsteuer und berät Kunden bei komplexen Fragestellungen des nationalen und internationalen Mehrwertsteuerrechts.

Linda Graff Brakemeier ist Director bei der Primetax AG. Sie verfügt über mehr als 20 Jahre MWST-Erfahrung als Beraterin und Inhouse-Steuerverantwortliche und berät Kunden zu Fragen der nationalen und internationalen Mehrwertsteuer. 

Zsuzsanna Serra, LL.M, ist Consultant bei der Primetax AG. Frau Serra berät Kunden vor allem bei Fragen der nationalen und internationalen Mehrwertsteuer.

1 WEKA MWST-Newsletter 03, März 2023
2 Vgl. Art. 24 Abs. 3 MWSTG sowie MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.4
3 Für die Definition der Tokenarten vgl. die Ausführungen in der MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.1
4 MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.4
5 MWST-Info 04, Steuerobjekt, Punkt 2.7.3.1
6 https://taxtech.blog/2022/05/17/eigentum-an-non-fungible-token-nft-ein-uk-gericht-sagt-ja/
7 https://www.finanzen.ch/nachrichten/devisen/neue-erkenntnisse-aus-gerichtsurteil-in-china-nfts-gesetzlich-geschuetztes-virtuelles-eigentum-1031971166

Hintergrund

Ende 2022 hat das Schweizer Volk einer Erhöhung der Mehrwertsteuersätze per 1. Januar 2024 zugestimmt.

Demzufolge gelten ab 1. Januar 2024 folgende MWST-Sätze:

Wie üblich stellen sich im Falle von Steuersatzerhöhungen auf einen bestimmten Zeitpunkt Abgrenzungsfragen (z.B. bei mehreren Teilleistungen, periodischen Leistungen oder bei Auseinanderfallen von Vertragsschluss- und Leistungszeitpunkt über die Gültigkeitszeiträume der jeweiligen alten bzw. neuen Steuersätze hinaus). In diesem Artikel sollen einige wesentliche Aspekte beleuchtet werden, die Steuerpflichtige vor dem Hintergrund der anstehenden Steuersatzänderung schon vor dem 1. Januar 2024 berücksichtigen sollten.

 

Für die Bestimmung des Steuersatzes massgebliches Ereignis

Dem Grundsatz nach ist für den anzuwendenden Steuersatz allein der Zeitpunkt der Leistungserbringung bzw. (z.B. bei Dauerleistungen) der Zeitraum der Leistungserbringung massgebend. Dies ist umso relevanter, als in der Schweiz die Entstehung der Steuer grundsätzlich unabhängig ist vom Zeit-punkt der Leistungserbringung. Vielmehr hängt die Steuerentstehung grundsätzlich vom Zeitpunkt der Rechnungstellung bzw. der Vereinnahmung des Entgelts ab. Das Datum der Rechnungsstellung oder der Zahlung sind hingegen nicht relevant für die Bestimmung des anwendbaren Steuersatzes.

 

Teilzahlungen bzw. Teilrechnungen

Bei Teilzahlungen bzw. Teilrechnungen gilt, dass die bis zum 31. Dezember 2023 erbrachten Leistungen mit den bisherigen Steuersätzen, diejenigen, die ab dem 1. Januar 2024 erbracht werden, mit den neuen Steuersätzen in Rechnung zu stellen und mit der ESTV abzurechnen sind.

 

Periodische Leistungen

Bei periodischen Leistungen wie z.B. Zeitschriften-Abonnement, ist der Zeitraum der Leistungserbringung entscheidend.

Im Zusammenhang mit periodischen Leistungen, die teilweise nach der Steuersatzerhöhung erbracht werden (z.B. Zeitschriften-Abonnemente, SaaS für Konsumenten), ist eine Aufteilung des Entgelts pro rata temporis vorzunehmen. Falls der Leistungserbringer im Zeitpunkt des Verkaufs bis zum 31. Dezember 2023 nicht wissen kann, wann genau die Leistung erbracht werden wird (typisches Beispiel wäre hierfür die Mehrfahrtenkarte für Skilifte mit sofortiger Gültigkeit), ist ausnahmsweise der Zeitpunkt des Verkaufs für den anwendbaren Steuersatz massgebend.

 

Vorauszahlungen

Hinsichtlich Vorauszahlungen für zukünftige Leistungen ist zu beachten, dass der auf den Zeitraum ab dem 1. Januar 2024 entfallende Anteil bereits zum neuen Steuersatz fakturiert und abgerechnet werden muss, sofern im Zeitpunkt der Vorauszahlung bereits bekannt ist, dass die Leistung ganz oder teilweise nach dem 31. Dezember 2023 erbracht werden wird.

 

Bezugsteuer (reverse charge)

Was die Bezugsteuer betrifft, ist auch hier einzig der Zeitpunkt bzw. Zeitraum des Leistungsbezugs massgebend.

 

Nebenleistungen

Den allgemein gültigen Regeln folgend sind Nebenleistungen steuerlich den Hauptleistungen gleich-gestellt und teilen deren mehrwertsteuerliches Schicksal. Wenn beispielsweise ein Autosalon einen Personenwagen inklusive Gratisservice für die ersten zwei Jahre am 12. Dezember 2023 verkauft und liefert, wird der Kaufpreis mit dem aktuellen Steuersatz 7,7 % in Rechnung gestellt. Die in den Verkaufs-preis inkludierten Gratisserviceleistungen für 2 Jahre werden als Nebenleistung gleichbehandelt und unterliegen damit ebenso dem Steuersatz von 7.7 %.

 

Umsatzkorrekturen

Umsatzkorrekturen sind zu den im Zeitpunkt (bzw. Zeitraum) der Leistungserbringung geltenden Steuersätzen zu korrigieren.

 

Rechnungstellung

Aus administrativer Sicht gilt, dass für Leistungen, die aufgrund des Zeitraumes ihrer Erbringung sowohl den bisherigen als auch den neuen Steuersätzen unterliegen, und auf der gleichen Rechnung aufgeführt werden, das Datum oder der Zeitraum der Leistungserbringung und der jeweils darauf entfallende Betragsanteil getrennt auszuweisen sind. Ist dies nicht möglich, müssen alle in Rechnung gestellten Leistungen mit den neuen, höheren Sätzen abgerechnet werden.

Letztlich gilt auch im Zusammenhang mit der Steuersatzänderung das Prinzip „fakturierte Steuer ist geschuldete Steuer“ d.h. die in der Rechnung ausgewiesene Steuer ist die mit der ESTV abzurechnende, auch wenn sie überhöht ist. Dies ist der Fall, wenn in einer Rechnung die neuen Steuersätze bezüglich Leistungen ausgewiesen werden, die vor dem 1. Januar 2024 erbracht wurden. Eine nachträgliche Berichtigung der Steuer kann nur erfolgen, wenn eine Korrektur der Rechnung nach Art. 27 Abs. 2 Bst. a MWSTG erfolgt oder der Leistungserbringer glaubhaft machen kann, dass dem Bund dadurch kein Steuerausfall entstanden ist.

Die neuen Steuersätze können erstmals ab dem 1. Juli 2023 in den MWST-Abrechnungs-Formularen deklariert werden.

 

Sonstige

Weitere Besonderheiten und Spezialfälle sind insbesondere bei Miet-, Leasing- und Kommissionsverträgen sowie im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug zu berücksichtigen. Auch die Steuerpflichtigen, die nach der Saldosteuersatzmethode abrechnen, haben Anpassungen bei den anwendbaren Steuersätzen zu berücksichtigen.

Hier, wie auch in bestimmten Branchen mit komplexen Leistungsbeziehungen (z.B. Energiebranche), empfiehlt es sich, möglichst frühzeitig die konkreten Auswirkungen auf das eigene Geschäft zu prüfen und entsprechende Massnahmen zu implementieren. Steuersatzänderungen sind in der Schweiz keineswegs unüblich und die jüngere Vergangenheit zeigt, dass die richtige Behandlung kritischer Fragen im Fokus z.B. von MWST-Audits durch die ESTV steht.

 

Fazit

Als wichtiges Datum für die anstehende Steuersatzänderung gilt der 1. Juli 2023, da ab diesem Zeit-punkt die Abrechnung mit den neuen, erhöhten Steuersätzen möglich ist. Ganz allgemein gilt, dass vor allem bei den automatisierten Buchungssystemen auf eine rechtzeitige Umstellung der Systeme zu achten ist.

Erfahrung mit Steuersatzänderungen in der Vergangenheit zeigt, dass sich In der Praxis regelmässig Konstellationen ergeben, die einer Einzelfallbetrachtung bedürfen und nicht ohne weiteres zu beantworten sind. In solchen Fällen empfiehlt es sich, die Fragen soweit möglich mit der ESTV direkt zu klären oder einen Experten hinzu zu ziehen. 

Das Bundesgericht hat einen Kunstsammler unlängst zur Nachzahlung von Einfuhrsteuern in Höhe von rund CHF 11 Mio. plus Verzugszinsen in Höhe von rund 2.5 Mio. verurteilt. Zwar betraf das Urteil den Zeitraum von 2008 bis 2013, sodass in der Sache altrechtliche Gesetzesregelungen zur Anwendung kamen. Allerdings weichen die aktuellen Bestimmungen des MWSTG nicht von diesen ab, weshalb das Urteil auch nach heute geltendem Recht gültig bleibt.

 

Hintergrund

Hintergrund war, dass die Einfuhr in die Schweiz durch eine Galerie erfolgte, die eine Bewilligung zur Nutzung des Verlagerungsverfahrens hatte. Offenbar zu Unrecht, denn wie das Gericht in seinem Urteil 2C_219/2018 vom 27. April 2020 bestätigt, ist nur derjenige berechtigt, als Importeur aufzutreten, der unmittelbar nach der Einfuhr die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Importwaren innehat. Dass die Galerie die Verfügungsmacht an den Werken hatte, wurde vorliegend verneint und in der Folge der Kunstsammler, dem die Verfügungsmacht im fraglichen Zeitpunkt tatsächlich zustand und daher als Importeur hätte auftreten müssen, zur Zahlung der Einfuhrsteuern verpflichtet.

 

Was ist das Verlagerungsverfahren?

Beim Verlagerungsverfahren entrichtet der Importeur die Einfuhrsteuer nicht an das BAZG, sondern deklariert sie im Rahmen der entsprechenden Mehrwertsteuer-Quartalabrechnung auf einem separaten Formular und macht sie zeitgleich als Vorsteuer geltend (weshalb kein Geld fliesst). Dabei bewirkt die Anwendung bzw. Bewilligung des Verlagerungsverfahrens bezüglich der Erhebung der Einfuhrsteuern laut Bundesgericht keine Kompetenzverschiebung vom BAZG zur ESTV; vielmehr handelt es sich um eine reine Zahlungsmethode, die dem Steuerpflichtigen die Optimierung seines Cash-Flows ermöglicht. Die Anwendung des Verlagerungsverfahrens ist an diverse, kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen geknüpft, die insbesondere in Art. 118 der MWSTV aufgezählt werden. Dazu gehört, dass der Bewilligungsinhaber in der Schweiz steuerpflichtig ist. 

Im hier beurteilten Fall war der Kunstsammler in der Schweiz nicht für die MWST registriert, weshalb er selbst über keine Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens verfügte und generell auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt war. 

 

Wer kann als Importeur agieren?

Grundsätzlich und unabhängig von der Anwendung des Verlagerungsverfahrens gilt gestützt auf die Zollgesetzgebung, dass rechtmässiger Importeur nur sein kann, wer unmittelbar nach der Einfuhr über den importierten Gegenstand wirtschaftlich verfügen kann. Konkret bedeutet dies, dass der Importeur berechtigt sein muss, den Gegenstand selbst zu verbrauchen, zu nutzen oder ihn im eigenen Namen weiterzuverkaufen (z.B. im Rahmen eines Kommissionsgeschäftes). Oder wie der EuGH es formuliert: Wirtschaftliche Verfügungsmacht bedeutet, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand verfügen zu können. 
 
Da der Inhaber einer Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens, wenn er diese nutzt, als Importeur auftritt, wird vorausgesetzt, dass er auch die Verfügungsmacht über die relevanten Gegenstände hat. Nur dann gilt die Nutzung der Bewilligung als Regelkonform. Dabei ist zu beachten, dass der Nachweis darüber mit geeigneten Geschäftspapieren zu führen ist (z.B. Verträge, Lieferantenrechnungen). Die blosse Vorlage der Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens genügt dabei explizit nicht. Vielmehr muss anderweitig nachgewiesen werden können, dass über den Gegenstand anlässlich des Imports Verfügungsmacht bestand und der Bewilligungsinhaber demnach auch als rechtmässiger Importeur qualifiziert.
 
Im vorliegenden Fall nutzte die Galerie für die Einfuhr der diversen Kunstwerke ihre Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens und trat somit als Importeurin auf. Für den Nachweis, dass sie auch die Verfügungsmacht daran hatte, verwies sie auf verschiedene Kommissionsverträge, gemäss derer die Galerie die Werke im eigenen Namen weiterverkaufen sollte. Das Bundesgericht sah es jedoch als erwiesen an, dass diese Kommissionsverträge lediglich simuliert wurden, im Wesentlichen mit dem Ziel, für die Einfuhr der Werke die Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens durch die Galerie nutzen zu können (und damit nicht nur vom Cash-Flow Vorteil zu profitieren, sondern auch davon, dass die Galerie die Einfuhrsteuern wieder als Vorsteuern zurückforderte). Für eine blosse Simulation der Verträge sprachen diverse Indizien, unter anderem, dass ein grosser Teil der Kunstwerke nach der Einfuhr im Auftrag des Kunsthändlers in seinen privaten Lokalitäten bzw. in seinem Hotel ausgestellt wurde (was einen Verkauf durch die Galerie erschwert), die Galerie den korrekten Standort der Werke nicht immer kannte und letztendlich keines der Kunstwerke je verkauft wurde (in einem Fall wurde eine Kaufanfrage sogar abgelehnt).
 
 

Konsequenz für den vorliegenden Fall

Da es sich bei den Kommissionsverträgen lediglich um simulierte Geschäfte handelte, deren Umsetzung von keiner der Parteien jemals beabsichtigt war, hatte die Galerie auch zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsmacht über die fraglichen Kunstwerke, für die sie das Verlagerungsverfahren nutzte. Tatsächlich blieb die Verfügungsmacht durchgehend beim Kunstsammler, der regelmässig auch  die Einfuhren veranlasste, so dass er aus zollrechtlicher Sicht als Auftraggeber (Importeur) und Abgabenschuldner gilt. Durch die Vortäuschung von Kommissionsgeschäften mit der Galerie, die in der Folge als Importeurin auftrat, habe er seine Pflichten als Zollpflichtiger verletzt und gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes verstossen. Hinzu kommt, dass die Galerie in ihren Quartalsabrechnungen die abgerechneten Einfuhrsteuern als Vorsteuer geltend gemacht hat. Dadurch ist dem Bund ein Steuerausfall entstanden in der Höhe der ursprünglich geschuldeten Einfuhrsteuer nach Art. 63. Abs. 1 MWSTG. Denn wäre die Einfuhr korrekt durch den Kunstsammler vorgenommen und die Einfuhrsteuer von ihm bezahlt worden, wäre die Einfuhrsteuer auch als definitiver Aufwand bei ihm hängen geblieben.
 
 

Fazit

Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig eine sorgfältige (und in diesem Fall auch wahrheitsgemässe) Dokumentation und interne Organisation bestimmter Abläufe ist. Mit den erforderlichen Compliance-Strukturen und einem IKS (Internes Kontrollsystem) für MWST könnten die Risiken einer nicht korrekten Anwendung eines rechtlichen Verfahrens oder systematischer Fehlentscheidungen verringert werden. Denn es muss nicht immer kriminelle Energie sein, die zu beträchtlichen Aufrechnungen bei der MWST führt. Es reicht z.B. schon aus, dass versehentlich nicht der rechtmässige Importeur erfasst wird, um schwerwiegende Konsequenzen nach sich zu ziehen.