Wann gilt eine Leistung als “elektronische Dienstleistung”?

Erbringt ein Ausländer sog. elektronische Dienstleistungen an Konsumenten (b2c) im Inland, führt dies schnell dazu, dass sich der Ausländer im Inland mehrwertsteuerlich registrieren und Mehrwertsteuer auf seine Leistungen an Schweizer Kunden abrechnen muss. Leistungen, die nicht als elektronische Leistungen gelten, lösen hingegen regelmässig keine Registrierungspflicht aus, da hier allenfalls der Leistungsempfänger die Bezugsteuer schuldet (auch wenn er Konsument und kein Unternehmer ist). Die Frage dabei bleibt: Wann gilt eine Leistung eigentlich als „elektronische Dienstleistung“?

Hintergrund

Elektronische Dienstleistungen folgen den allgemeinen Regeln zur Leistungsortsbestimmung für Zwecke der Mehrwertsteuer. Das heisst, im Regelfall sind sie dort zu besteuern, wo der Leistungsempfänger ansässig oder wohnhaft ist („Empfängerortsprinzip“). Was elektronische von anderen Dienstleistungen unterscheidet ist in erster Linie, dass sie zu einer Registrierungspflicht des ausländischen Leistungserbringers führen, wenn Kunden inländische Konsumenten sind (b2c). Erbringt ein Ausländer, der in der Schweiz nicht MWST-registriert ist, eine „normale“ Dienstleistung an einen inländischen Leistungsempfänger und unterliegt diese Leistung dem Empfängerortsprinzip, schuldet der Inländer hierauf die Bezugsteuer, wenn er entweder steuerpflichtig ist (b2b) oder für mehr als 10‘000 CHF im Jahr solche Leistungen bezieht (b2c). Der Ausländer wird aufgrund dieses Sachverhaltes nicht in der Schweiz mehrwertsteuerpflichtig.

Etwas anderes gilt, wenn der Ausländer eine sog. elektronische Dienstleistung erbringt. Hier bleibt der Ausländer Steuerschuldner und muss sich in der Schweiz für Zwecke der Mehrwertsteuer registrieren, um die Mehrwertsteuer gegenüber der ESTV abzurechnen.

Nach Praxis der ESTV gilt eine Dienstleistung als elektronische Dienstleistung, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  • Sie wird über das Internet oder ein anderes elektronisches Netz erbracht
  • sie wird automatisiert erbracht und die menschliche Beteiligung seitens des Leistungserbringers ist minimal
  • das Erbringen der Dienstleistungen ist ohne Informationstechnologie nicht möglich.

Dabei ergeben sich im Einzelfall Abgrenzungsfragen, ob eine Dienstleistung im konkreten Fall als elektronische Dienstleistung qualifiziert. Mit einer solchen Abgrenzungsfrage hatte sich das Bundesgericht jüngst auseinanderzusetzen (Urteil vom 25. Oktober 2024, 9C_482/2024). Dabei stand vor allem die Frage der „minimalen menschlichen Beteiligung seitens des Leistungserbringers“ im Fokus. 

Sachverhalt

9C_482/2024 BG
A mit Sitz in Ausland betreibt Online-Sportwetten. Die ESTV hat A rückwirkend in das MWST-Register eingetragen und eine Steuernachforderung festgesetzt, da A in der Schweiz elektronische Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige erbringe, die Umsatzlimite erreiche und daher steuerpflichtig sei. A hat sowohl die Erbringung elektronischer Dienstleistungen als auch die Steuerpflicht bestritten.

Entscheid 

Die strittige Frage in diesem Fall war, ob die von A erbrachte Dienstleistung automatisiert und nur mit einem Minimum an menschlicher Beteiligung erbracht wird.

ESTV und Bundesverwaltungsgericht gingen davon aus, dass die streitige Dienstleistung in der Einräumung einer bedingten Möglichkeit zur Erzielung eines vereinbarten Gewinns bestehe. Die menschliche Einflussnahme beschränke sich beim Angebot von A auf die Ermittlung der Wettquoten und andere Vorbereitungshandlungen, die auf den Abschluss künftiger Wetten abzielten, sei selbst aber nicht Teil der mehrwertsteuerlich relevanten Dienstleistung. Dem hielt A entgegen, dass im Rahmen der Leistungserbringung durchaus erhebliche Tätigkeiten der Mitarbeiter stattfänden: Bei Live-Wetten müssten die Wettquoten ständig manuell bearbeitet werden. Auch stehe den Kunden ein Support-Team zur Verfügung, das sie bei Fragen und Problemen kontaktieren können.

Das Bundesgericht verwies in seinem Entscheid auf den wesentlichen Kern des Leistungsverhältnisses und folgte darin der Argumentation der Vorinstanz. Die von A geltend gemachten menschlichen Interventionen seien zwar von erheblicher Bedeutung, beschränkten sich jedoch auf die Ausgestaltung eines Produkts, das Gegenstand des Angebots bilde (und nicht der Dienstleistung selbst). Menschliches Wirken im Rahmen von Vorbereitungs-, Entwicklungs- und Wartungsarbeiten bleiben nach der Verwaltungspraxis der ESTV unberücksichtigt

Im Rahmen der Erbringung der Dienstleistung selbst sei menschliche Intervention stets dann als „minimal“ zu erachten, wenn sie nicht dazu dient, auf individuelle Kundenwünsche einzugehen. Das Gericht verweist auf den menschlichen Croupier im Online-Casino oder den Dozenten bei einem Online-Kurs, der den Teilnehmenden nicht die Möglichkeit zur Interaktion vor, während oder nach dem Seminar bietet. Obgleich Service und Support für das Angebot von A unverzichtbar seien, stellten sie keinen integralen Bestandteil der eigentlichen elektronischen Dienstleistung dar. Vielmehr handelte es sich dabei um Leistungen, die lediglich eine zugeordnete Funktion erfüllten. Dies unterscheide sie von Tätigkeiten mit nicht nur minimaler menschlicher Beteiligung, zu denen beispielsweise das Beraten, Bewerten, Abgeben von individuellem Feedback oder das Beantworten von Fragen zählten.

Fazit

Das Urteil macht deutlich, dass Dienstleistungen aus Schweizer Sicht schneller als elektronische Dienstleistungen zu beurteilen sein können, als mancher Unternehmer wahrhaben mag. Dass eine reale Person vor während oder nach der Leistungserbringung involviert ist, hilft hier bisweilen wenig. Zu beachten ist dabei auch, dass elektronische Dienstleistungen im b2c Bereich auch im (europäischen) Ausland Sonderregelungen unterliegen, die es für Schweizer Unternehmen erforderlich machen können, ausländische Mehrwertsteuer abzurechnen. Wer seine Dienstleistungen daher nicht mehr nur mittels Brief seinen ausländischen Kunden zugänglich macht, ist daher gut beraten, seine Leistungen vom MWST-Experten qualifizieren zu lassen. Andernfalls können erheblich MWST-Risiken drohen.