Online-Plattformen und Mehrwertsteuer

Die sog. «Plattformwirtschaft» (oder neudeutsch «Plattform Economy») bezeichnet ein populäres Geschäftsmodell, das darauf basiert, dass eine (Online-) Plattform Anbieter bestimmter Waren und Dienstleistungen mit Kunden zusammenführt. Dieses Geschäftsmodell ist so populär und ist dabei aus mehrwertsteuerlicher Sicht so «speziell», dass sich Gesetzgeber im In- und Ausland genötigt sehen, den Besonderheiten durch Gesetzesänderungen zu begegnen. Im EU-Raum gelten beispielsweise seit 2021 spezifische Regelungen für Online-Marktplätze und -Plattformen. In der Schweiz  wird zum 1. Januar 2025 eine entsprechende Neuregelung im Mehrwertsteuergesetz Einzug halten. Diese wird aber nur Lieferungen betreffen, die über Online-Plattformen vermittelt werden. Dienstleistungen werden (zunächst) nicht in den Anwendungsbereich der Regelung fallen. Vor diesem Hintergrund (und weil auch für Lieferungen die bis zum 1. Januar 2025 geltende Rechtslage einschlägig ist), sind Verwaltungspraxis und Rechtsprechung aus diesem Bereich weiter von Interesse – wie etwa das interessante Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 7. Dezember 2023 (A-1573/2022).

Hintergrund

Bei Leistungen über Vermittlungsportale stellt sich aus Sicht der MWST regelmässig die Frage, ob die Plattform selbst als mehrwertsteuerliche Erbringerin der vermittelten Leistung gilt (Fall 1), oder ob sie auch aus mehrwertsteuerlicher Sicht lediglich eine von der vermittelten Leistung entkoppelte Vermittlungsleistung erbringt (Fall 2).

In Fall 1 ist für die mehrwertsteuerliche Qualifikation der Leistung der Plattform die vermittelte Leistung und deren Leistungsempfänger massgeblich. Das Entgelt des Leistungsempfängers stellt die Bemessungsgrundlage dar für die Mehrwertsteuer. In dieser Konstellation gelten häufig Konsumenten als Leistungsempfänger (b2c), was insbesondere im Ausland zu erweiterten steuerlichen Pflichten der Plattform führt.

In Fall 2 bildet lediglich die Vermittlungsleistung selbst den Inhalt der Vermittlungsleistung, die Leistungserbringer und/oder dem Leistungsempfänger erhobene Kommission bildet die Bemessungsgrundlage des Umsatzes der Plattform. Wird eine Gebühr nur vom Leistungserbringer erhoben, wird die Vermittlungsleistung der Plattform häufig an einen Unternehmer erbracht (b2b).

In welcher Fallkonstellation sich die Parteien bewegen entscheidet sich nach Sicht der Verwaltung massgeblich nach dem Aussenauftritt und danach, ob sich aus der Gesamtheit der Umstände unter objektiven Gesichtspunkten ergibt, dass die Plattform lediglich vermittelt und nicht selbst die Leistung erbringt.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
7. dezember (A-1573/2022)

Der entschiedene Fall betraf eine Vermittlungsplattform für Essenslieferungen. Diese vertrat die Auffassung, aufgrund ihres Aussenauftritts qualifiziere sie selbst als «Essenslieferantin». Hiergegen wandte sich die ESTV, die die Plattform lediglich als Vermittlerin ansah, die zum Normalsatz zu versteuernde Vermittlungs- und Lieferleistungen erbringe. Ihre Qualifikation stützte die ESTV u.a. auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, aus denen unzweideutig hervorging, dass für die Speisen selbst eine direkte Leistungsbeziehung zwischen Restaurant und Kunde bestand. Nach Sicht der Verwaltung gestärkt wurde diese Position durch den Umstand, dass der Kunde im Rahmen des Bestellprozesses nicht nur die Gerichte, sondern auch das konkrete Restaurant auswählen konnte, bei dem er zu bestellen wünschte.

Im Ergebnis gab das Gericht der Plattform Recht und stützte sein Urteil massgeblich auf die Wahrnehmung des Kunden im Bestellprozess und danach («User Experience»). So habe die Plattform während des gesamten Bestellvorgangs wie auch während der Auslieferung und im Fall von Beschwerden sowie bei der Zahlung als Ansprechperson bzw. Gegenpartei für die Kunden agiert. Allfällige Unklarheiten, ob ein Vermittlungsverhältnis oder eine direkte Leistungsbeziehung mit der Plattform bestünde, gingen dabei «zu Lasten» einer Vermittlungsleistung. Ergebe sich das Handeln als Vermittler nicht eindeutig aus den Umständen, sei im Zweifel davon auszugehen, dass die Plattform selbst als Leistungserbringerin auftrete.

Fazit

Bemerkenswert ist, welch hohen Stellenwert das Gericht der vermeintlichen «User Experience» beimisst, auch wenn diese – nach Wahrnehmung des Gerichts – im Widerspruch zur ausdrücklichen schriftlichen Dokumentation steht. Für AGB sei es gar nicht unüblich, dass der Verbraucher von diesen keine vertiefte Kenntnis nehme. Daraus folgt, dass den Internetauftritten und Bestellabwicklungen entsprechender Plattformen sehr grosse Bedeutung beikommen könnte und diese unbedingt in eine mehrwertsteuerliche Beurteilung einzufliessen haben.

Das Urteil wurde ans Bundesgericht weitergezogen. Es bleibt also abzuwarten, ob der Entscheid bestand haben wird. Für Plattformen, die Lieferungen vermitteln, schafft die Neuregelung per 1. Januar 2025 eine gewisse Rechtssicherheit. Plattformen, die Dienstleistungen vermitteln, sind gehalten, die Entwicklung im Auge zu behalten – und ihren aktuellen Aussenauftritt gründlich zu prüfen.