Anders als im europäischen Ausland gelten in der Schweiz das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen als unternehmerische Tätigkeit, die grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt. Im Gesetz findet sich in Art. 29 Abs. 3 eine Definition, was als Beteiligung in diesem Sinne gilt (nachfolgend «qualifizierte Beteiligung»): Beteiligungen sind Anteile am Kapital anderer Unternehmen, die mit der Absicht dauernder Anlage gehalten werden und einen massgeblichen Einfluss vermitteln. Anteile von mindestens 10% am Kapital gelten als Beteiligung. Es besteht allerdings Unklarheit, wie die 10%-Grenze zu interpretieren ist: Greift ab 10% eine gesetzliche Vermutung? Oder ist bei weniger als 10% eine Beteiligung ausgeschlossen? Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu Stellung bezogen (Urteil vom 17. Juli 2024, A-903/2023). 

Sachverhalt

Die X AG hält eine Beteiligung von 9% an der A AG. Sie hat der B AG ein Darlehen gewährt. Sie ersuchte die ESTV um Bestätigung, dass ihre Beteiligung von 9% an der A AG und das Darlehen an die B AG als qualifizierte Beteiligungen gelten. Die X AG stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei der Bestimmung im zweiten Satz der Legaldefinition um eine „safe haven – rule“ handle, bei welcher automatisch vom Vorliegen einer Beteiligung ausgegangen werde. Darunter müsse das Vorliegen einer qualifizierten Beteiligung im Einzelfall geprüft werden. Die ESTV wies darauf hin, dass Beteiligungen von weniger als 10 % des Kapitals nicht als qualifizierte Beteiligung gelten und auch die Gewährung eines Darlehens keine Beteiligung in diesem Sinne darstelle. Die X AG könne daher insoweit diesem Zusammenhang keinen Vorsteuerabzug geltend machen.

Entscheid des bvg

Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob die Beschwerdeführerin zum Abzug der von ihr gezahlten Vorsteuer berechtigt ist. Um dies beurteilen zu können, war vorgängig zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin Beteiligungen im Sinne von Art. 29 Abs. 3 MWSTG hält und damit mehrwertsteuerpflichtig ist.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die in Art. 29 Abs. 3 MWST festgehaltene Grenze von 10% keine absolute Grösse ist. Die Auslegung deutet eher auf eine „safe haven-rule“ hin, wonach eine Beteiligung von mindestens 10% jedenfalls als Beteiligung im Sinne dieses Artikels gilt. Für Anteile von weniger als 10% kann und muss der Steuerpflichtige hingegen den Nachweis erbringen, dass eine qualifizierte Beteiligung vorliegt, die insbesondere „massgeblichen Einfluss vermittelt“. Nicht abschliessend äussert sich das Gericht dazu, ob bei Beteiligungen von mindestens 10% der Steuerbehörde der Gegenbeweis offensteht, dass die Beteiligung nicht aus betrieblichen Gründen, sondern lediglich als Finanzanlage gehalten wird.

Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie der Nachweis des massgeblichen Einflusses erfolgreich zu führen ist. Die Beschwerdeführerin konnte im vorliegenden Fall den Nachweis des massgeblichen Einflusses aus Sicht des Gerichts nicht erbringen, Es verwarf demzufolge die Ansicht der Beschwerdeführerin, insofern unternehmerisch im Sinne des Art. 10 Abs. 1ter MWSTG tätig zu sein.

Daneben verwarf das Gericht die Auffassung der Beschwerdeführerin, ein Darlehen könne eine qualifizierte Beteiligung begründen. Als «Beteiligungen» werden durchwegs Anteile am Kapital anderer Unternehmen verstanden. Forderungen stellen keine Beteiligungen dar.

Fazit

Positiv ist, dass auch bei Beteiligungen von weniger als 10 % dem Steuerpflichtigen der Nachweis offensteht, über eine qualifizierte Beteiligung im Sinne des Art. 10 Abs. 1ter MWSTG zu verfügen. Wie der Nachweis konkret gelingt, bleibt unklar. Kritisch zu sehen ist, dass das Gericht offen lässt, ob auch bei Beteiligungen von mehr als 10% der ESTV vorbehalten bleibt, eine qualifizierte Beteiligung zu negieren.

Die Urteilsbegründung ruft auch in Erinnerung, dass MWST-Kontrollen Steuerpflichtige nicht verleiten dürfen, sich in „falscher Sicherheit“ zu wiegen. Eine unterbliebene Beanstandung innerhalb einer MWST Kontrolle gewährt keinen Vertrauensschutz, dass der gleiche Sachverhalt in Zukunft von der ESTV nicht doch beanstandet wird. Ähnlich verhält es sich mit Rulings, in denen sich die ESTV stets nur zu dem geschilderten Lebenssachverhalt und im Rahmen der aufgeworfenen Fragen äussert. Ein unvollständiger oder fehlerhafter Sachverhalt bedingt keinen Vertrauensschutz und der Vertrauensschutz kann nicht über die in Frage gestellte Behandlung hinausgehen.

Christoph Drexl, Besteuerung von Messeleistungen in der EU, WEKA
MWST Newsletter 09 vom 8. Oktober 2024

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