Anders als im europäischen Ausland gelten in der Schweiz das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen als unternehmerische Tätigkeit, die grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt. Im Gesetz findet sich in Art. 29 Abs. 3 eine Definition, was als Beteiligung in diesem Sinne gilt (nachfolgend «qualifizierte Beteiligung»): Beteiligungen sind Anteile am Kapital anderer Unternehmen, die mit der Absicht dauernder Anlage gehalten werden und einen massgeblichen Einfluss vermitteln. Anteile von mindestens 10% am Kapital gelten als Beteiligung. Es besteht allerdings Unklarheit, wie die 10%-Grenze zu interpretieren ist: Greift ab 10% eine gesetzliche Vermutung? Oder ist bei weniger als 10% eine Beteiligung ausgeschlossen? Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu Stellung bezogen (Urteil vom 17. Juli 2024, A-903/2023). 

Sachverhalt

Die X AG hält eine Beteiligung von 9% an der A AG. Sie hat der B AG ein Darlehen gewährt. Sie ersuchte die ESTV um Bestätigung, dass ihre Beteiligung von 9% an der A AG und das Darlehen an die B AG als qualifizierte Beteiligungen gelten. Die X AG stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei der Bestimmung im zweiten Satz der Legaldefinition um eine „safe haven – rule“ handle, bei welcher automatisch vom Vorliegen einer Beteiligung ausgegangen werde. Darunter müsse das Vorliegen einer qualifizierten Beteiligung im Einzelfall geprüft werden. Die ESTV wies darauf hin, dass Beteiligungen von weniger als 10 % des Kapitals nicht als qualifizierte Beteiligung gelten und auch die Gewährung eines Darlehens keine Beteiligung in diesem Sinne darstelle. Die X AG könne daher insoweit diesem Zusammenhang keinen Vorsteuerabzug geltend machen.

Entscheid des bvg

Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob die Beschwerdeführerin zum Abzug der von ihr gezahlten Vorsteuer berechtigt ist. Um dies beurteilen zu können, war vorgängig zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin Beteiligungen im Sinne von Art. 29 Abs. 3 MWSTG hält und damit mehrwertsteuerpflichtig ist.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die in Art. 29 Abs. 3 MWST festgehaltene Grenze von 10% keine absolute Grösse ist. Die Auslegung deutet eher auf eine „safe haven-rule“ hin, wonach eine Beteiligung von mindestens 10% jedenfalls als Beteiligung im Sinne dieses Artikels gilt. Für Anteile von weniger als 10% kann und muss der Steuerpflichtige hingegen den Nachweis erbringen, dass eine qualifizierte Beteiligung vorliegt, die insbesondere „massgeblichen Einfluss vermittelt“. Nicht abschliessend äussert sich das Gericht dazu, ob bei Beteiligungen von mindestens 10% der Steuerbehörde der Gegenbeweis offensteht, dass die Beteiligung nicht aus betrieblichen Gründen, sondern lediglich als Finanzanlage gehalten wird.

Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie der Nachweis des massgeblichen Einflusses erfolgreich zu führen ist. Die Beschwerdeführerin konnte im vorliegenden Fall den Nachweis des massgeblichen Einflusses aus Sicht des Gerichts nicht erbringen, Es verwarf demzufolge die Ansicht der Beschwerdeführerin, insofern unternehmerisch im Sinne des Art. 10 Abs. 1ter MWSTG tätig zu sein.

Daneben verwarf das Gericht die Auffassung der Beschwerdeführerin, ein Darlehen könne eine qualifizierte Beteiligung begründen. Als «Beteiligungen» werden durchwegs Anteile am Kapital anderer Unternehmen verstanden. Forderungen stellen keine Beteiligungen dar.

Fazit

Positiv ist, dass auch bei Beteiligungen von weniger als 10 % dem Steuerpflichtigen der Nachweis offensteht, über eine qualifizierte Beteiligung im Sinne des Art. 10 Abs. 1ter MWSTG zu verfügen. Wie der Nachweis konkret gelingt, bleibt unklar. Kritisch zu sehen ist, dass das Gericht offen lässt, ob auch bei Beteiligungen von mehr als 10% der ESTV vorbehalten bleibt, eine qualifizierte Beteiligung zu negieren.

Die Urteilsbegründung ruft auch in Erinnerung, dass MWST-Kontrollen Steuerpflichtige nicht verleiten dürfen, sich in „falscher Sicherheit“ zu wiegen. Eine unterbliebene Beanstandung innerhalb einer MWST Kontrolle gewährt keinen Vertrauensschutz, dass der gleiche Sachverhalt in Zukunft von der ESTV nicht doch beanstandet wird. Ähnlich verhält es sich mit Rulings, in denen sich die ESTV stets nur zu dem geschilderten Lebenssachverhalt und im Rahmen der aufgeworfenen Fragen äussert. Ein unvollständiger oder fehlerhafter Sachverhalt bedingt keinen Vertrauensschutz und der Vertrauensschutz kann nicht über die in Frage gestellte Behandlung hinausgehen.

Bei der mehrwertsteuerlichen Einordnung von Vergütungen für Vermittler im Finanzbereich ist Vorsicht geboten, selbst in der Verwaltungspraxis klar definierte Begriffe können je nach Sachverhalt sehr unterschiedlich ausgelegt werden.

Hintergrund

Die Beschwerdeführerin war im vorliegenden Streitfall als Vermögensverwalterin tätig. Für ihre Tätigkeit erhielt sie im Rahmen eines Vermögensverwaltungsvertrags zwei Arten von Entschädigungen: Einerseits wurden ihr die von den Vermögensverwaltungskunden bezahlten Courtagen zzgl. Courtagen der Bank ausbezahlt, andererseits erhielt sie eine monatliche Management Fee. Im Rahmen der Brokerage-Vereinbarungen mit zwei verschiedenen Banken erhielt die Beschwerdeführerin Vergütungen, bzw. externe Vermögensverwaltungsgebühren, die sich aus den auf den Konten der Kunden verzeichneten Aktivitäten ergaben.

Fraglich ist, wie diese Entgelte umsatzsteuerlich zu qualifizieren sind. Auch wenn nach der Verwaltungspraxis Begriffe schwarz auf weiss aufgelistet und definiert sind, müsste man diese Begriffe (hier Entgelte) genau analysieren und in den richtigen Kontext stellen, sonst kommt man zu ganz anderen Ergebnissen.

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts 
A-5793/2022

Unbestritten ist im vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin als Vermögensverwalterin tätig ist und dass die monatliche Management Fee der Steuer zum Normalsatz unterliegt. Strittig ist hingegen, ob es sich bei den Courtagen und externe Vermögensverwaltungsgebühren um ein Entgelt für eine von der Steuer ausgenommene Vermittlungsleistung oder eine steuerbare Vermögensverwaltungsleistung handelt.

In der Rechtsprechung sowie in der Verwaltungspraxis wird die Auffassung vertreten, dass für die Einstufung einer Vermittlertätigkeit das vermittelte Grundgeschäft massgeblich ist. Sofern das vermittelte Grundgeschäft dem von der Steuer ausgenommenen Bereich entstammt, ist das Entgelt für die Vermittlung von der Steuer ausgenommen.

Die Beschwerdeführerin bietet als Vermögensverwalterin sowohl Anlageberatung als auch Execution (Ausführung) für ihre Kunden an und erhält für diese Leistungen auch separate und vertraglich vereinbarte Vergütungen. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin (gestützt auf Ziff. 6.1.6 der MBI 14 und auf die frühere Rechtsprechung des BGs) gelten Courtagen für die Execution als von der Steuer ausgenommene Entgelte für den Handeln mit Wertpapieren. Alternativ sei die Vermögensverwaltungsleistung als ausgenommene Nebenleistung zur Vermittlungsleistung anzusehen, wie es der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem ähnlichen Fall (C-453/05, 21.6.2007) bereits entschieden hat.

Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, dass sie Vermittlungsleistungen im Sinne der Verwaltungspraxis erbringt. Eine Nichtanwendung dieser Verwaltungspraxis würde gegen den verfassungsrechtlich garantierten Vertrauensschutz verstossen.

Die Vermittlungstätigkeit ist unter Ziff. 5.10.1 der MBI 14 klar definiert und bezeichnet die Tätigkeit einer in dieser Funktion auftretenden Mittelperson, die darin besteht, auf den Abschluss eines Vertrages im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs zwischen zwei Parteien hinzuwirken, ohne selber Partei des  vermittelten Vertrages zu sein und ohne ein Eigeninteresse am Inhalt des Vertrages zu haben. Die Vermittlung ist als eigenständige Mittlertätigkeit auszuüben. 

Die ESTV hielt die Leistung der Beschwerdeführerin hingegen für eine steuerbare Vermögensverwaltung gestützt auf Ziff. 5.10.3 der MBI 14 und meint weiter, dass die finanziellen Zuwendungen (Retrozessionen) aufgrund der Ablieferungspflicht eine Eigeninteresse darstellen, was wiederum einer ausgenommenen Vermittlung entgegenstünde. 

Das Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass die Execution-Leistung der Beschwerdeführerin als akzessorisch zur Hauptleistung der Anlageberatung bzw. Vermögensverwaltung zu betrachten ist, da diese Leistung für sich alleine keinen Sinn ergäbe. Sie dient lediglich als Instrument, um die Hauptleistung der Beschwerdeführerin unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Für die Kunden hat diese Art von Leistung keinen eigenständigen Zweck. Gäbe es keine Vermögensverwaltungsmandate, würde kein Kunde die Execution-Leistungen allein in Anspruch nehmen, sondern eine Bank damit beauftragen.

Obgleich die Beschwerdeführerin der Überzeugung ist, dass Courtage in der Verwaltungspraxis als Nebenleistung nicht separat aufgeführt werden könnten, befindet das Bundesgericht, dass unter Umständen dieselbe Leistung je nach Kontext anders zu beurteilen sei. In diesem Fall erfüllt die Execution-Leistung (Nebenleistung) lediglich im Kontext eines Vermögensverwaltungsmandats (Hauptleistung) einen Zweck.

In Bezug auf den Vertrauensschutz macht das Bundesgericht darauf aufmerksam, dass sich das von der Beschwerdeführerin zitierte Kapitel 6.1 der MBI 14 unter dem Titel „Allgemeine Bankdienstleistungen“ spezifisch auf von Banken angebotene Dienstleistungen bezieht. Daher kann der Vertrauensschutz in diesem Zusammenhang nicht geltend gemacht werden.

Fazit

Das vorliegende Urteil verdeutlicht die Relevanz einer präzisen Ermittlung der zugrunde liegenden Leistung im Rahmen einer Vermittlungstätigkeit. Diesbezüglich ist zu beachten, dass selbst die Ausführungen und Begrifflichkeiten in der Verwaltungspraxis lediglich in ihrem jeweiligen Kontext Gültigkeit besitzen.

Die mehrwertsteuerliche Behandlung von «einfachen» Lieferungen kann im Einzelfall zu komplexen mehrwertsteuerlichen Fragen führen. Noch etwas komplexer wird es, wenn dem Element einer reinen Warenlieferung weitere Elemente hinzugefügt werden. Im Kontext dieser «komplexer Leistungen» werden häufig die Begriffe werkvertragliche Lieferung, Werklieferung und Montagelieferung verwendet. Doch was bedeuten diese Begriffe aus Sicht der Mehrwertsteuer? Und unterscheiden sie sich überhaupt?

Werkvertragliche lieferung

Die «werkvertragliche Lieferung» ist eine Spezialität aus der Schweizer Mehrwertsteuer mit seinem sehr weit gefassten Verständnis einer «Lieferung». Eine Definition findet sich weder in Gesetz noch Verordnung. Die ESTV betrachtet als werkvertragliche Lieferung «alle Lieferungen beweglicher oder unbeweglicher Gegenstände, die aufgrund eines Werkvertrages oder Auftrages neu angefertigt oder vor der Ablieferung noch bearbeitet werden», vgl. MWST-Info 06 «Ort der Leistungserbringung», Ziff. 3.1. Auf das Ausmass der Bearbeitung komme es nicht an. Es sei auch nicht erforderlich, dass im Rahmen der Bearbeitung Material verwendet, ersetzt oder hinzugefügt wird.

Die Definition in der MWST-Info zum «Ort der Leistungserbringung» zeigt, welche Bedeutung der werkvertraglichen in Abgrenzung zur «einfachen» Lieferung in erster Linie zukommt:  der Bestimmung des mehrwertsteuerlichen Leistungsortes. Dem allgemeinen Grundsatz des Art. 7 Abs. 1 Bst. a MWSTG folgend gilt die (werkvertragliche) Lieferung als dort erbracht, wo die werkvertragliche Leistung vorgenommen bzw. wo der Gegenstand abgeliefert wird. Aber Achtung: Ist die werkvertragliche Zusatzleistung (z.B. Montage/Installation) lediglich eine Nebenleistung zu einer Beförderungs-/Versandlieferung, gilt die Lieferung als dort erbracht, wo die Beförderung oder der Versand beginnt.

  • Beispiel: Der schwäbische Werkzeughersteller schickt seinen Monteur in die Schweiz, um bei einem Kunden in Winterthur ein Ersatzteil auszutauschen (kein Garantiefall). Das Ersatzteil bringt der Monteur aus Deutschland mit. Der Werkzeughersteller ist in der Schweiz mehrwertsteuerlich registriert.

    Ort der werkvertraglichen Lieferung ist an dem Ort, an dem die werkvertragliche Leistung vorgenommen wird (hier: Winterthur in der Schweiz). Bei den erforderlichen Montagearbeiten handelt es sich nicht lediglich um Nebenleistungen zur Leistung «Lieferung des Ersatzteils». Der Werkzeughersteller ist Importeur des Ersatzteils und unterwirft seine werkvertragliche Lieferung an den Schweizer Kunden der Inlandsteuer.

Werklieferung 

Die «werkvertragliche Lieferung» findet Im (deutschsprachigen) europäischen Ausland im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer keine offizielle Verwendung. In Österreich und Deutschland findet dagegen der Begriff der «Werklieferung» Anwendung und wird definiert als die Be- oder Verarbeitung eines Gegenstandes durch einen Unternehmer, bei dem dieser Stoffe verwendet, die er selbst beschafft hat und die nicht nur Zutaten oder Nebensachen darstellen, § 3 Abs. 4 USTG DE/AT. Bei einer Werklieferung handelt es sich demnach um eine komplexe Leistung im Sinne eines Bündels unterschiedlicher Leistungselemente (regelmässig Lieferungs- und Dienstleistungselemente im Sinne der europäischen Verständnisses), die derart eng miteinander verknüpft sind, dass sie mehrwertsteuerlich als eine einzige Leistung zu behandeln sind.

Für das Vorliegen einer Werklieferung in diesem Sinne ist demnach Voraussetzung, dass

  • sich die Lieferung auf einen vom Auftraggeber beigestellten Gegenstand bezieht und
  • der Auftragnehmer eigene Stoffe verwendet, die nicht nur Zutaten oder Nebensachen darstellen und
  • der Gegenstand des Auftraggebers be- oder verarbeitet wird.

Die Voraussetzungen an das Vorliegen einer «Werklieferung» sind demnach deutlich enger gefasst als an das Vorliegen einer «werkvertraglichen Lieferung».

  • Beispiel: Der Kunstmaler Federstrich fertigt für einen Schweizer und für einen österreichischen Kunden je ein Auftragswerk.

    Aus Sicht des Schweizer Mehrwertsteuerrechts handelt es sich um eine werkvertragliche Lieferung, da das Kunstwerk im Auftrag und nach den Wünschen des Auftraggebers hergestellt wird. Aus Sicht des österreichischen Mehrwertsteuerrechts handelt es sich nicht um eine Werklieferung, da der Künstler keinen Gegenstand seines österreichischen Auftraggebers be- oder verarbeitet.

Die Abgrenzung der Werk- zur einfachen Lieferung dient zunächst der Bestimmung des mehrwertsteuerlichen Leistungsortes. Dabei gelten – wie in der Schweiz bei werkvertraglichen Lieferungen – keine Spezialregelungen, sondern die allgemeinen Grundsätze zur Leistungsortsbestimmung im Zusammenhang mit Lieferungen.

Die Unterscheidung ist darüber hinaus von Bedeutung, wenn es um die Frage geht, wer Schuldner der Mehrwertsteuer im jeweiligen Fall ist. Weder in Deutschland noch in Österreich kommt derzeit das reverse charge Verfahren für «einfache» Lieferungen zur Anwendung (reverse charge = Umkehr der Steuerschuldnerschaft vom Leistungserbringer auf den Leistungsempfänger). Anders verhält es sich bei Werklieferungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers an einen Leistungsempfänger der seinerseits Unternehmer ist. In diesen Fällen schuldet der Leistungsempfänger gegenüber den Steuerbehörden die Mehrwertsteuer, wenn sich der Ort der Leistung in Deutschland bzw. Österreich befindet.

  • Beispiel: Die in der Schweiz domizilierte Belt AG ist auf die Produktion von Förderbändern spezialisiert. Sie wird von der französischen  Sort Sàrl  beauftragt, in die von der Sort Sàrl bei der deutschen Worldwide Shipping GmbH in Deutschland zu errichtende Paketsortieranlage ein Förderband einzubauen. Die Paketsortieranlage wird fest mit bereits vorhandenen Maschinen der Worldwide Shipping GmbH  verbunden sein. Auftraggeber der Sort Sàrl ist die deutsche Worldwide Shipping GmbH. Weder die Belt AG noch die Sort Sàrl sind derzeit in Deutschland mehrwertsteuerlich registriert und verfügen dort auch nicht über Betriebsstätten.

    Sowohl die Belt AG als auch die Sort Sàrl erbringen einer Werklieferung, da sie jeweils einen fremden Gegenstand unter Beiziehung eigener Materialien, die nicht nur nebensächlich sind, be- oder verarbeiten. Die Belt AG schuldet auf ihre Werklieferung an die Sort Sàrl keine deutsche Mehrwertsteuer, da es sich bei der Belt AG um eine ausländische Unternehmung handelt. Entsprechend greift das reverse charge Verfahren und die Sort Sàrl muss sich mehrwertsteuerlich in Deutschland registrieren, um die Mehrwertsteuer aus der Werklieferung der Belt AG gegenüber den deutschen Finanzbehörden abrechnen zu können. Auf ihre Werklieferung an die Worldwide Shipping GmbH schuldet die Sort Sàrl wiederum keine deutsche Mehrwertsteuer, da es sich bei der Sort Sàrl weiter um ein ausländisches Unternehmen handelt. Die MWST-Registrierung in Deutschland ändert daran nichts. Dementsprechend schuldet die Worldwide Shipping GmbH die Mehrwertsteuer aus der Werklieferung der Sort Sàrl gegenüber den deutschen Finanzbehörden.

Montagenlieferung

Die Montage- oder Installationslieferung findet sich wiederum weder im deutschen noch im österreichischen Mehrwertsteuergesetz. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine Begrifflichkeit, die  aus der europäischen MWST-Richtlinie abgeleitet wird. Die MWST-Richtlinie bildet die die Grundlage des harmonisierten MWST-Systems in den EU-Mitgliedstaaten («Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem», in diesem Beitrag als MWST-Richtlinie bezeichnet).

Wie der Begriff Montagelieferung nahelegt, handelt es sich hierbei um eine Lieferung, bei der der Gegenstand der Lieferung durch den Leistungserbringer oder für dessen Rechnung beim Leistungsempfänger installiert oder montiert wird. Die Richtlinie hält für diesen Fall fest, dass als Ort der Lieferung der Ort gilt, an dem die Installation oder Montage vorgenommen wird, Art. 36 MWST-Richtlinie. Von der deutschen oder österreichischen Werklieferung unterscheidet sich die Montagelieferung demnach in erster Linie durch das fehlende Erfordernis der Be- oder Verarbeitung eines vom Auftraggeber beigestellten Stoffes. Im Vergleich verschiedener Mitgliedstaaten besteht Uneinigkeit, welche Leistungen eine Montagelieferung zu einer solchen machen (konkret: bedarf es einer Befestigung beim Leistungserbringer oder genügt bereits das Zusammensetzen und Betriebsbereit machen?). Im deutschsprachigen Raum scheint die Auffassung vorherrschend, für eine Montage sei Voraussetzung, dass der Gegenstand der Lieferung mit technischen Hilfsmitteln an einer bestimmten Stelle angebracht oder befestigt wird.

  • Beispiel: Die in der Schweiz domizilierte Belt AG ist auf die Produktion von Förderbändern spezialisiert. Sie wird von der deutschen Worldwide Shipping GmbH beauftragt, ein mobiles Förderband zu liefern. Die Belt AG wird das Förderband vor Ort in Deutschland an die bestehenden Gegebenheiten anpassen und installieren, ohne aber Gegenstände der Worldwide Shipping GmbH zu be- oder verarbeiten.

    Die Belt AG erbringt eine Montagelieferung an die Worldwide Shipping GmbH. Ort der Lieferung ist in Deutschland. Mangels Be- oder Verarbeitung fremder Gegenstände handelt es sich nicht um eine Werklieferung, das reverse charge Verfahren kommt daher nicht zur Anwendung. Die Belt AG muss sich daher in Deutschland mehrwertsteuerlich registrieren, um die aus ihrer Lieferung geschuldete Mehrwertsteuer gegenüber den deutschen Finanzbehörden abzurechnen.

Fazit

Ähnlich, aber doch ganz anders – oder eben «same same but different». Bei der Mehrwertsteuer steckt der Teufel im Detail. Wenn man bedenkt, dass die entsprechenden Sachverhalte meist die Einfuhr von Ware beinhalten und der Vorsteuerabzug stets nur dem «richtigen» Importeur gewährt wird, wird deutlich, warum sich auch bei scheinbar Alltäglichem noch regelmässig Fehler in der mehrwertsteuerlichen Behandlung einschleichen, die im Falle einer Revision umfangreiche Aufrechnungen und mindestens grossen administrativen Aufwand mit sich bringen.

Mit entsprechend geschultem Personal und aktuellen Arbeitshilfen lassen sich Risiken minimieren und der Fokus hin zum wesentlichen richten.

Mehrwertsteuer und Immobilien zählt zu den Dauerbrennern in der Beratung. Die Regelungen sind im Detail komplex und die Beträge für einzelne Transaktionen vergleichsweise hoch. In loser Folge stellen wir in unserem Blog relevante Problemfelder vor und erörtern, worauf zu achten ist. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit mehrwertsteuerlichen Fragen im Zusammenhang mit Rückbau- und Abbruchkosten (nachfolgend «Rückbaukosten») und Vorsteuerabzug.

Hintergrund

Aus Sicht der Mehrwertsteuer durchläuft die gewerbliche Nutzung einer Immobilie regelmässig drei «Lebensphasen»:

  1. Erstellung/Erwerb
  2. Betrieb
  3. Rückbau oder Veräusserung

Dabei stellen sich in jeder Lebensphase aus mehrwertsteuerlicher Sicht unterschiedliche und teils kontroverse Fragen. In jüngerer Vergangenheit wurden von den Gerichten Fragen insbesondere im Zusammenhang mit Rückbau von Immobilien und dem damit verbundenen Recht auf Vorsteuerabzug entschieden.

Vorsteuerabzug Allgemein 

Die steuerpflichtige Person kann im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich die ihr in Rechnung gestellte und bezahlte Mehrwertsteuer, die Bezugsteuer und die Einfuhrsteuer als Vorsteuer abziehen.

Kein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht bei Leistungen und bei der Einfuhr von Gegenständen, die für die Erbringung von Leistungen, die von der Steuer ausgenommen sind und für deren Versteuerung nicht optiert wurde, verwendet werden.

Dieser Vorbehalt ist im Zusammenhang mit Immobilien von besonderer Relevanz, da die Übertragung und die Bestellung von dinglichen Rechten an Grundstücken, die Leistungen von Stockwerkeigentümergemeinschaften an die Stockwerkeigentümer sowie die Überlassung von Grundstücken und Grundstücksteilen zum Gebrauch oder zur Nutzung grundsätzlich von der Steuer ausgenommen sind.

Dabei gelten Rückausnahmen für bestimmte Nutzungen (z.B. die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur Beherbergung von Gästen sowie die Vermietung von Sälen im Hotel- und Gastgewerbe oder die Vermietung von nicht im Gemeingebrauch stehenden Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen).

Zudem besteht die Möglichkeit, die entsprechenden Leistungen freiwillig der Mehrwertsteuer zu unterstellen (sog. Option). Die Möglichkeit der Option steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass der Gegenstand vom Leistungsempfänger nicht ausschliesslich für Wohnzwecke genutzt wird oder genutzt werden soll.

Rückbaukosten und vorsteuerabzug

Beim Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Rückbaukosten ist zunächst danach zu unterscheiden, ob den Rückbaukosten ein Eigentümerwechsel vorausgegangen ist (der Rückbau erfolgt also durch den Erwerber der Immobilie) oder nicht (der Rückbau erfolgt also durch den bisherigen Eigentümer der Immobilie).

Rückbaukosten ohne vorgängigen eigentümerwechsel

Der Rückbau stellt die letzte Phase der bisherigen unternehmerischen Nutzung dar. Die Beurteilung, ob die Vorsteuer im Zusammenhang mit dem Rückbau abzugsfähig ist, richtet sich nach der bisherigen Nutzung für zum Vorsteuerabzug berechtigende Leistungen oder solche, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen. Die beabsichtigte zukünftige Nutzung und eine damit allenfalls einhergehende Nutzungsänderung ist nicht von Belang.

  • Beispiel: Die Holzbau Müller AG besitzt am Stadtrand Zürichs eine grössere Fläche Land mit verschiedenen Geräteschuppen und Gebäuden mit holzverarbeitenden Maschinen. Die Holzbau Müller AG beabsichtigt, zukünftig die Produktion auf Holzbaubetriebe im Zürcher Hinterland auszulagern und entsprechend den eigenen Maschinen- und Fuhrpark zu reduzieren. Auf der Fläche am Stadtrand Zürichs will die Holzbau Müller AG eine grössere Wohnüberbauung realisieren.
  • Die Vorsteuer im Zusammenhang mit dem Rückbau ist voll abzugsfähig. Massgeblich für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs ist nicht die geplante zukünftige Nutzung (die hier mutmasslich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen würde), sondern die bisherige Nutzung im Rahmen des Holzbaubetriebes.

Rückbaukosten mit vorgängigem eigentümerwechsel

Hier ist nach Ansicht des Bundesgerichts weiter zu differenzieren:

Veranlasst der Erwerber «unmittelbar» nach Erwerb den Rückbau der Immobilie, so tritt er mehrwertsteuerlich in die erste mehrwertsteuerliche Lebensphase der zukünftigen Immobilie («Erstellung»). Dementsprechend richtet sich das Recht zum Vorsteuerabzug nach der zukünftigen Nutzung der (zu errichtenden) Immobilie.

  • Beispiel: Um ihr Vorhaben umzusetzen erwirbt die Holzbau Müller AG ein angrenzendes Grundstück, das von einem Garagisten genutzt wurde. Die Betriebsgebäude des Garagisten lässt die Holzbau Müller AG unmittelbar abreissen und die Böden sanieren.
  • Die Vorsteuer im Zusammenhang mit dem Abbruch und den Sanierungsaufwendungen ist nicht abzugsfähig. Massgeblich für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs ist nicht die bisherige Nutzung (die hier mutmasslich zum Vorsteuerabzug berechtigte), sondern die zukünftige Nutzung als Wohnüberbauung.

Veranlasst der Erwerber nicht «unmittelbar» nach Erwerb den Rückbau der Immobilie, sondern führt diese einer Zwischennutzung zu, ist zu prüfen, ob diese Zwischennutzung als eigenständige Betriebsphase oder als «unselbständige Zwischennutzung» anzusehen ist.

Im Falle einer eigenständigen Betriebsphase zählen die Rückbaukosten zur letzten Lebensphase der aktuellen Nutzung der Immobilie und das Recht auf Vorsteuerabzug richtet sich nach der bisherigen Nutzung. Im Falle einer unselbständigen Zwischennutzung zählen die Abbruchkosten hingegen zur ersten Lebensphase der «Erstellung» der neu zu errichtenden Immobilie.

  • Beispiel: Um ihr Vorhaben umzusetzen erwirbt die Holzbau Müller AG ein weiteres angrenzendes Grundstück. Auf diesem befindet sich eine Spedition. Da die Spedition ihre neue Zentrale erst in neun Monaten beziehen kann, schliesst sie mit der Holzbau Müller AG einen befristeten Mietvertrag (optiert) bis zur Fertigstellung ihrer neuen Zentrale. Nachdem die Spedition ausgezogen ist, lässt die Holzbau Müller AG die Betriebsgebäude abreissen.
  • Die Vorsteuer im Zusammenhang mit dem Abbruch ist (wohl) nicht abzugsfähig. Massgeblich für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs ist nicht die bisherige Nutzung (optierte Vermietung), da diese nur für eine kurze Übergangsdauer erfolgte und daher wohl nicht als eigenständige Betriebsphase angesehen werden kann. Insofern richtet sich das Recht auf Vorsteuerabzug nach der geplanten zukünftigen Nutzung.

Fazit

Insbesondere im Zusammenhang mit einer Zwischennutzung ist genau zu prüfen, ob diese als eigenständige Betriebsphase angesehen werden muss oder ob sie lediglich eine unselbständige Zwischennutzung darstellt. Die Abgrenzungskriterien sind dabei allerdings wenig trennscharf und weder die Verwaltung noch die dazu ergangene Rechtsprechung bieten hier Hilfestellung.

Andererseits zeigt sich, dass eine vorausschauende Planung im Zusammenhang mit Immobilientransaktionen erhebliches Optimierungspotential bietet.

Die sog. «Plattformwirtschaft» (oder neudeutsch «Plattform Economy») bezeichnet ein populäres Geschäftsmodell, das darauf basiert, dass eine (Online-) Plattform Anbieter bestimmter Waren und Dienstleistungen mit Kunden zusammenführt. Dieses Geschäftsmodell ist so populär und ist dabei aus mehrwertsteuerlicher Sicht so «speziell», dass sich Gesetzgeber im In- und Ausland genötigt sehen, den Besonderheiten durch Gesetzesänderungen zu begegnen. Im EU-Raum gelten beispielsweise seit 2021 spezifische Regelungen für Online-Marktplätze und -Plattformen. In der Schweiz  wird zum 1. Januar 2025 eine entsprechende Neuregelung im Mehrwertsteuergesetz Einzug halten. Diese wird aber nur Lieferungen betreffen, die über Online-Plattformen vermittelt werden. Dienstleistungen werden (zunächst) nicht in den Anwendungsbereich der Regelung fallen. Vor diesem Hintergrund (und weil auch für Lieferungen die bis zum 1. Januar 2025 geltende Rechtslage einschlägig ist), sind Verwaltungspraxis und Rechtsprechung aus diesem Bereich weiter von Interesse – wie etwa das interessante Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 7. Dezember 2023 (A-1573/2022).

Hintergrund

Bei Leistungen über Vermittlungsportale stellt sich aus Sicht der MWST regelmässig die Frage, ob die Plattform selbst als mehrwertsteuerliche Erbringerin der vermittelten Leistung gilt (Fall 1), oder ob sie auch aus mehrwertsteuerlicher Sicht lediglich eine von der vermittelten Leistung entkoppelte Vermittlungsleistung erbringt (Fall 2).

In Fall 1 ist für die mehrwertsteuerliche Qualifikation der Leistung der Plattform die vermittelte Leistung und deren Leistungsempfänger massgeblich. Das Entgelt des Leistungsempfängers stellt die Bemessungsgrundlage dar für die Mehrwertsteuer. In dieser Konstellation gelten häufig Konsumenten als Leistungsempfänger (b2c), was insbesondere im Ausland zu erweiterten steuerlichen Pflichten der Plattform führt.

In Fall 2 bildet lediglich die Vermittlungsleistung selbst den Inhalt der Vermittlungsleistung, die Leistungserbringer und/oder dem Leistungsempfänger erhobene Kommission bildet die Bemessungsgrundlage des Umsatzes der Plattform. Wird eine Gebühr nur vom Leistungserbringer erhoben, wird die Vermittlungsleistung der Plattform häufig an einen Unternehmer erbracht (b2b).

In welcher Fallkonstellation sich die Parteien bewegen entscheidet sich nach Sicht der Verwaltung massgeblich nach dem Aussenauftritt und danach, ob sich aus der Gesamtheit der Umstände unter objektiven Gesichtspunkten ergibt, dass die Plattform lediglich vermittelt und nicht selbst die Leistung erbringt.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
7. dezember (A-1573/2022)

Der entschiedene Fall betraf eine Vermittlungsplattform für Essenslieferungen. Diese vertrat die Auffassung, aufgrund ihres Aussenauftritts qualifiziere sie selbst als «Essenslieferantin». Hiergegen wandte sich die ESTV, die die Plattform lediglich als Vermittlerin ansah, die zum Normalsatz zu versteuernde Vermittlungs- und Lieferleistungen erbringe. Ihre Qualifikation stützte die ESTV u.a. auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, aus denen unzweideutig hervorging, dass für die Speisen selbst eine direkte Leistungsbeziehung zwischen Restaurant und Kunde bestand. Nach Sicht der Verwaltung gestärkt wurde diese Position durch den Umstand, dass der Kunde im Rahmen des Bestellprozesses nicht nur die Gerichte, sondern auch das konkrete Restaurant auswählen konnte, bei dem er zu bestellen wünschte.

Im Ergebnis gab das Gericht der Plattform Recht und stützte sein Urteil massgeblich auf die Wahrnehmung des Kunden im Bestellprozess und danach («User Experience»). So habe die Plattform während des gesamten Bestellvorgangs wie auch während der Auslieferung und im Fall von Beschwerden sowie bei der Zahlung als Ansprechperson bzw. Gegenpartei für die Kunden agiert. Allfällige Unklarheiten, ob ein Vermittlungsverhältnis oder eine direkte Leistungsbeziehung mit der Plattform bestünde, gingen dabei «zu Lasten» einer Vermittlungsleistung. Ergebe sich das Handeln als Vermittler nicht eindeutig aus den Umständen, sei im Zweifel davon auszugehen, dass die Plattform selbst als Leistungserbringerin auftrete.

Fazit

Bemerkenswert ist, welch hohen Stellenwert das Gericht der vermeintlichen «User Experience» beimisst, auch wenn diese – nach Wahrnehmung des Gerichts – im Widerspruch zur ausdrücklichen schriftlichen Dokumentation steht. Für AGB sei es gar nicht unüblich, dass der Verbraucher von diesen keine vertiefte Kenntnis nehme. Daraus folgt, dass den Internetauftritten und Bestellabwicklungen entsprechender Plattformen sehr grosse Bedeutung beikommen könnte und diese unbedingt in eine mehrwertsteuerliche Beurteilung einzufliessen haben.

Das Urteil wurde ans Bundesgericht weitergezogen. Es bleibt also abzuwarten, ob der Entscheid bestand haben wird. Für Plattformen, die Lieferungen vermitteln, schafft die Neuregelung per 1. Januar 2025 eine gewisse Rechtssicherheit. Plattformen, die Dienstleistungen vermitteln, sind gehalten, die Entwicklung im Auge zu behalten – und ihren aktuellen Aussenauftritt gründlich zu prüfen.

Mehrwertsteuer und Immobilien zählt zu den Dauerbrennern in der Beratung. Die Regelungen sind im Detail komplex und die Beträge für einzelne Transaktionen vergleichsweise hoch. In loser Folge stellen wir in unserem Blog relevante Problemfelder vor und erörtern, worauf zu achten ist. Im ersten Teil beschäftigten wir uns mit mehrwertsteuerlichen Fragen im Zusammenhang mit der Übertragung von Immobilien.

Drei mögliche formen der übertragung

Grundsätzlich bestehen drei Möglichkeiten, den Verkauf einer Immobilie mehrwertsteuerlich abzubilden:

  1. Den gesetzlichen vorgesehenen Grundfall bildet die von der Steuer ausgenommene Leistung nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 20 MWSTG
  2. Als Variante besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Übertragung als freiwillig versteuerte („optierte“) Leistung nach Art. 22 Abs. 1 MWSTG
  3. Schliesslich können sich die Parteien unter gewissen Voraussetzungen für die Anwendung des Meldeverfahrens nach Art. 38 MWSTG i.V.m. Art. 104 MWSTV entscheiden.

Verkauf einer Immobilie als von der Steuer ausgenommene Lieferung (Art. 21 AbS. 2 Ziff. 20 MWSTG)

Die Übertragung als von der Steuer ausgenommene Leistung bedeutet, dass das Verkaufsgeschäft selbst keine Mehrwertsteuer auslöst. Da die Leistung selbst „nicht steuerbar“ ist, kann der (steuerpflichtige) Verkäufer auf den vorsteuerbelasteten Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Transaktion keinen Vorsteuerabzug geltend machen.

Hat der (steuerpflichtige) Verkäufer die Immobilie bis zum Verkauf (ganz oder teilweise) für zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke genutzt, stellt der Verkauf als steuerausgenommene Leistung eine „Nutzungsänderung“ dar (Nutzung alt: teils oder ganz zum Vorsteuerabzug berechtigend, Nutzung neu: nicht zum Vorsteuerabzug berechtigend). Entsprechend muss der Verkäufer eine Vorsteuerkorrektur aufgrund Eigenverbrauchs nach Art. 31 MWSTG vornehmen.

  • Beispiel 1:

    Die steuerpflichtige Hans Muster AG in Walchwil hält in ihrem Betriebsvermögen eine Immobilie. In der Immobilie befindet sich die Schreinerei der Hans Muster AG. Im Oktober 2014 hatte die Hans Muster AG das Dach der Immobilie neu decken lassen. Die hierfür in Rechnung gestellte MWST hat die Hans Muster AG als Vorsteuer geltend gemacht. Zum 1. Juli 2024 verkauft die Hans Muster AG die Immobilie an die Müller Immo AG. Der Verkauf soll nach dem gesetzlichen Grundfall erfolgen.

    Die Hans Muster AG nutzte die Immobilie bis anhin umfassend im steuerbaren Bereich (Schreinerei). Durch den Verkauf als von der Steuer ausgenommene Leistung tritt eine Nutzungsänderung ein. Entsprechend muss die Hans Muster AG den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Immobilie korrigieren. Betroffen ist vorliegend der Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Renovierung des Daches. Der Umfang der Korrektur richtet sich nach dem Zeitwert der Renovierung. Zur Ermittlung des Zeitwertes wird der Vorsteuerbetrag linear für jedes abgelaufene Jahr bei unbeweglichen Gegenständen um 5% reduziert. Die buchmässige Behandlung ist nicht von Bedeutung. Entsprechend hat die Hans Muster AG die ursprünglich in Abzug gebrachte Vorsteuer um 50% zu korrigieren (5% * 10 Jahre, das laufende Jahr der Veräusserung bleibt bei der Ermittlung des Zeitwerts grundsätzlich ausser Betracht).

Der Erwerber übernimmt die Immobilie frei von Mehrwertsteuer. Bei einer Nutzung im nicht steuerbaren Bereich (z.B. als Altersheim) besteht für den Erwerber kein Risiko einer Nutzungsänderung. Andererseits geht auf den Erwerber auch kein Entsteuerungspotential über.

  • Beispiel 2:

    Die Hans Muster AG rechnet die von ihr vorzunehmende Vorsteuerkorrektur in den Verkaufspreis ein. Die Müller Immo AG beabsichtigte zunächst, die Betriebsliegenschaft abzureissen und eine moderne Wohnliegenschaft auf dem Grundstück zu errichten. Sie ändert ihr Vorhaben dahingehend, dass neu im Erdgeschoss Ladenlokale und im ersten Stock Büroräumlichkeiten geplant sind.

    Im Fall der Errichtung einer Wohnliegenschaft ist die Müller Immo AG an einer möglichst geringen Vorsteuerbelastung im Zusammenhang mit dem Erwerb der Immobilie interessiert. Bei einer Nutzung im steuerbaren Bereich (Ladenlokale und Büroflächen können optiert vermietet/verkauft werden), spielt die Vorsteuerbelastung eine eher untergeordnete Rolle, da die Müller Immo AG zum Vorsteurabzug berechtigt ist. Die „verdeckt“ überwälzte Mehrwertsteuer aus der Vorsteuerkorrektur der Hans Muster AG führt bei der Müller Immo AG hingegen zu einer definitiven Mehrbelastung.

Sofern die Vertragsparteien keine besondere Vereinbarungen getroffen haben und die MWST im Kaufvertrag nicht ausgewiesen ist, ist der Verkauf als von der Steuer ausgenommene Transaktion zu behandeln.

OPTIERTER VERKAUF EINER IMMOBILIE (ART. 22 ABS. 1 ZIFF. 20 MWSTG)

Als erste Alternative besteht für den steuerpflichtigen Verkäufer einer Immobilie die Möglichkeit, den Verkauf freiwillig der Mehrwertsteuer zu unterstellen („Option“). Voraussetzung für die Wahrnehmung dieses Wahlrechts ist, dass die Immobilie durch den Käufer nicht ausschliesslich zu Wohnzwecken genutzt wird. Erwirbt der Käufer die Immobilie, um sie seinerseits zu Wohnzwecken weitervermieten, ist die Option damit möglich, da der Erwerber selbst die Immobilie nicht ausschliesslich zu Wohnzwecken zu nutzen beabsichtigt.

Der Verkäufer kann auch nur für einen Teil des Verkaufs der Immobilie optieren. Beim Verkauf von bebauten Grundstücken kann der Verkäufer die Vorsteuer auf die direkt mit dem Verkauf zusammenhängenden Kosten ganz oder teilweise (je nach Option) geltend machen.

  • Beispiel 3:

    Die steuerpflichtige Hans Muster AG in Walchwil hält in ihrem Betriebsvermögen eine Immobilie. In der Immobilie befindet sich die Schreinerei der Hans Muster AG. Darüber befindet sich ein Penthouse mit Blick auf den Zugersee. Im Oktober 2014 hatte die Hans Muster AG alle Fenster in der Immobilie erneuern lassen. Die hierfür in Rechnung gestellte MWST hat die Hans Muster AG als Vorsteuer geltend gemacht, soweit die Fenster der Schreinerei betroffen waren. Zum 1. Juli 2024 verkauft die Hans Muster AG die Immobilie an die Müller Immo AG.

    Die Hans Muster hat die Möglichkeit, die Immobilie insgesamt optiert zu verkaufen, da die Müller Immo AG die Penthouse-Wohnung nicht selbst für Wohnzwecke nutzen wird. Durch die optierte Übertragung müsste die Hans Muster AG keine Vorsteuerkorrektur in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Erneuerung der Fenster im Bereich der Schreinerei geltend gemachten Vorsteuern vornehmen. Vielmehr liegt hinsichtlich der Penthouse Wohnung eine Nutzungsänderung vor. Diese berechtigt die Hans Muster AG, in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Erneuerung der Fenster im Bereich der Penthouse Wohnung nicht geltend gemachte Vorsteuer eine Einlageentsteuerung vorzunehmen (50% der ursprünglich in Rechnung gestellten und bezahlten MWST). Sofern die Müller Immo AG die bisherige Nutzung der Penthouse Wohnung fortführt, führt deren optierte Übertragung bei der Müller Immo AG zu einer Mehrbelastung mit MWST, die sich mutmasslich auf die Kaufpreisverhandlung auswirken wird

    Daneben besteht die Möglichkeit, dass die Hans Muster AG lediglich den Verkauf der Schreinerei optiert und die Penthouse Wohnung nach dem gesetzlichen Grundfall als von der Steuer ausgenommene Leistung überträgt. In diesem Fall hat die Max Muster AG weder eine Eigenverbauchskorrektur noch eine Einlageentsteuerung zu ermitteln.

Der Verkauf mit Option setzt formell lediglich voraus, dass die MWST im Kaufvertrag auf dem Kaufpreis ohne den Wert des Bodens separat ausgewiesen wird oder die Deklaration in der Abrechnung in den Ziffern 200/205 erfolgt.

ÜBERTRAGUNG DER IMMOBILIE IM MELDEVERFAHREN (ART. 38 ABS. 2 MWSTG I.V.M ART. 104 MWSTV)

Bei der Anwendung des Meldeverfahrens erfolgt die Abrechnung der Mehrwertsteuer gegenüber der ESTV durch Meldung statt Zahlung. Das Meldeverfahren bietet daher die Möglichkeit, die Transaktion abzuwickeln, ohne dass der Käufer die Mehrwertsteuer finanzieren muss. Durch die Anwendung des Meldeverfahrens übernimmt der Käufer für die übertragenen Vermögenswerte die Bemessungsgrundlage und den zum Vorsteuerabzug berechtigenden Verwendungsgrad des Verkäufers.

  • Beispiel 4:

    Die steuerpflichtige Hans Muster AG in Walchwil hält in ihrem Betriebsvermögen eine Immobilie. In der Immobilie befindet sich die Schreinerei der Hans Muster AG. Darüber befindet sich ein Penthouse mit Blick auf den Zugersee. Im Oktober 2014 hatte die Hans Muster AG alle Fenster in der Immobilie erneuern lassen. Die hierfür in Rechnung gestellte MWST hat die Hans Muster AG als Vorsteuer geltend gemacht, soweit die Fenster der Schreinerei betroffen waren. Zum 1. Juli 2024 verkauft die Hans Muster AG die Immobilie an die Müller Immo AG. Die Übertragung wird mittels Meldeverfahren abgewickelt.

    Die Müller Immo AG tritt hinsichtlich der Immobilie mehrwertsteuerlich an die Stelle der Hans Muster AG, d.h. sie übernimmt eine Immobilie die im Hinblick auf die Schreinerei im steuerbaren Bereich genutzt wurde und im Hinblick auf das Penthouse im steuerausgenommenen Bereich. Vermietet sie das Penthouse zukünftig optiert an einen Unternehmensberater weiter, kann sie eine Einlageentsteuerung betreffend die Erneuerung der Fenster im 2014 geltend machen. Voraussetzung ist, dass sie nachweisen kann, in welchem Umfang ursprünglich Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und bezahlt wurde.

Im Zusammenhang mit möglichen Nutzungsänderungen nach der Übertragung im Meldeverfahren ist der Nachweis der bisherigen Nutzung durch den Verkäufer von zentraler Bedeutung. Es ist Sache des Käufers, diesen Nachweis zu erbringen. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass er alle für eine Nutzungsänderung relevanten Vorsteuerbelege, Nachweise über wertvermehrende Aufwendungen bzw. umfassende Renovationen der letzten 20 Jahre sowie Aufzeichnungen über frühere Vorsteuerkorrekturen erhält.

Kann der Käufer diese Nachweise nicht beibringen, läuft er Gefahr, dass Vorsteuerkorrekturen aufgrund von Nutzungsänderungen auf Grundlage des Kaufpreises berechnet werden. Dabei geht die ESTV von einer bisherigen Nutzung vollumfänglich im steuerbaren Bereich aus.

  • Beispiel 5:

    Im Beispiel 4 kann die Hans Muster AG infolge eines Wassereinbruchs in ihrem Archiv keinerlei Belege beibringen, die die Historie der Immobilie belegen.

    Nutzt die Müller Immo AG das Penthouse weiter für Wohnzwecke, müsste sie mangels Nachweisen der bisherigen Nutzung eine Vorsteuerkorrektur vornehmen. Grundlage bildet der Kaufpreis mit der Hans Muster AG. Vermietet sie das Penthouse zukünftig optiert an einen Unternehmensberater, kann sie keine Einlageentsteuerung geltend machen.

    Dementsprechend sollte das Meldeverfahren bei Immobilientransaktionen mit Vorsicht zur Anwendung gelangen, wenn Unsicherheiten hinsichtlich der bisherigen oder zukünftigen Nutzung bestehen und die Dokumentation Lücken aufweist.

Fazit

Auch wenn es sich bei der vorstehenden Zusammenfassung der mehrwertsteuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Immobilientransaktionen nur um einen ersten Überblick handelt, so wird doch deutlich, dass Immobilientransaktionen auch aus Sicht der MWST vorgängig gründlich geprüft werden sollten, um die gebotenen Gestaltungsmöglichkeiten optimal zu nutzen. Nachstehend haben wir die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten nochmals vereinfacht zusammengefasst

 

     

 

Ausgenommene Leistung

Steuerbare Leistung („Option“)

Meldeverfahren

Steuerpflicht des Verkäufers erforderlich?

Nein

Ja

Ja

Steuerpflicht des Käufers erforderlich?

Nein

Nein

Ja

Hinweis/Antrag erforderlich?

Nein

Ja

Ja

Wird MWST zur Zahlung fällig?

Nein

Ja

Nein

Muss Verkäufer u.U. Vorsteeurkorrektur berücksichtigen ?

Nein

Nein

Nein

Kann Verkäufer u.U. Einlageentsteuerung geltend machen ?

Nein

Ja

Nein

Muss Käufer u.U. Vorsteeurkorrektur berücksichtigen ?

Nein

Ja

Ja

Kann Käufer u.U. Einlageentsteuerung geltend machen ?

Nein

Nein

Ja

Ist die mehrwertsteuerliche Historie der Liegenschaft von Bedeutung?

Nein

Nein

Ja

 

 

Die Welt des E-Commerce hat in den letzten Jahren eine beispiellose Expansion erlebt, wobei digitale Plattformen und Online-Handel den globalen Markt revolutioniert haben. Mit diesem Wachstum sind jedoch auch komplexe Herausforderungen verbunden, insbesondere im Hinblick auf die Mehrwertsteuer (MWST) und deren Anwendung auf grenzüberschreitende Transaktionen. Die dynamische Natur des E-Commerce, kombiniert mit internationalen Geschäftspraktiken, hat zu einer komplexen rechtlichen Landschaft geführt, die Teilnehmer am e-Commerce vor neue Herausforderungen stellt. Der nachstehende Artikel befasst sich in erster mit den mehrwertsteuerlichen Themen im b2c Handel (also beim Verkauf an «Konsumenten», im Gegensatz zu Unternehmungen). Dabei handelt es sich um einen groben ersten Überblick. Die entsprechenden Regelungen sind komplex und sollten daher auf Basis des konkreten Geschäftsmodells im Einzelfall geprüft werden. 

e-Commerce im EU-Raum

Keine Schwellenwerte für Drittländer!

Wer im EU Raum b2b Lieferungen (und bestimmte Dienstleistungen) erbringt, ohne über einen festen Geschäftssitz in der EU zu verfügen, wird gegebenenfalls unmittelbar (also ab dem ersten Euro Um-satz) steuerpflichtig. Sonderregelungen für Kleinunternehmer gelten meist nur für Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat.

  • Beispiel: Ein Schweizer Händler vertreibt über seinen Webshop Pokémon Sammelkarten ab einem Fulfillment Centre in Deutschland. Kunden sind Privatpersonen in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Der Umsatz beläuft sich im ersten Jahr auf EUR 3’700 p.a.
  • Lösung: Der Händler muss sich in Deutschland für Zwecke der Mehrwertsteuer registrieren.

MWST in 27 Mitgliedstaaten abrechnen: der One Stop Shop

Bei b2c-Lieferungen in verschiedene Mitgliedstaaten (sog. Fernverkäufe oder «distance sales») ab einem EU-Warenlager (verzollte Ware) gilt zunächst der MWST-Satz des Staates, in dem sich das Warenlager befindet.

  • Beispiel: wie oben.
  • Lösung: Der Händler muss in Deutschland die Mehrwertsteuer auf seine Lieferungen abführen. Er schuldet die Mehrwertsteuer zum in Deutschland gültigen Satz für alle Lieferungen, auch die Lieferungen an Kunden in Österreich und den Niederlanden.

Übersteigt der Umsatz aus solchen Fernverkäufen EU-weit EUR 10’000 pro Jahr, gilt der MWST-Satz des Landes, in dem der Kunde ansässig ist. Bis vor kurzem mussten sich e-Commerce Händler unter Umständen in allen Mitgliedstaaten separat mehrwertsteuerlich registrieren, um ihren Melde- und Abrechnungspflichten nachzukommen. Seit 2021 ist es ihnen möglich, ihre Melde- und Abrechnungspflichten über eine zentrale Registrierung zu erledigen, den sog. One Stop Shop („OSS“)

  • Beispiel: wie oben, allerdings erzielt der Händler inzwischen einen Umsatz von EUR 17’000 p.a., wovon EUR 6’000 auf Österreich und EUR 5’000 auf die Niederlande entfallen.

  • Lösung: Der Händler muss in Deutschland die Mehrwertsteuer auf seine Lieferungen an Kunden in Deutschland abführen. Hier schuldet er die Mehrwertsteuer zum in Deutschland gültigen MWST-Satz. Für Lieferungen an Kunden Österreich und den Niederlanden schuldet er die Mehrwertsteuer zum jeweils in Österreich bzw. den Niederlanden gültigen Satz. Der Händler hat die Wahl, sich in Österreich und den Niederlanden zusätzlich mehrwertsteuerlich registrieren zu lassen. Oder er kann sich in Deutschland für den OSS registrieren, um seinen Melde- und Abrechnungspflichten in Österreich und den Niederlanden nachzukommen. Kunden in weiteren Mitgliedstaaten können später ebenfalls über den OSS gemeldet und abgerechnet werden.

Ware aus dem Drittland in die EU liefern: der Import One Stop Shop

Wie Fernverkäufe innerhalb der EU unterliegen auch Fernverkäufe aus einem Drittland der Mehrwertsteuer zu dem MWST-Satz, der in dem Land des Kunden anwendbar ist. Bis zu einem Warenwert von EUR 150 haben Händler die Möglichkeit, die entsprechenden Fernverkäufe über den sogenannten Import One Stop Shop (IOSS) abzuwickeln.

Wird auf die Anwendung des IOSS verzichtet, kann ein Sonderregelung zur Anwendung kommen, wonach die Einfuhrsteuer durch den Spediteur direkt beim jeweiligen Kunden kassiert wird. Regelmässig stellen Spediteure ihre Verzollungs-Leistungen den Kunden zusätzlich in Rechnung – so dass dieses Vorgehen aus Kundensicht teuer und wenig transparent scheint.

Schliesslich besteht die Möglichkeit, dass der Fernverkäufer sich in den jeweiligen Mitgliedsstaaten seiner Kunden registriert und seine Lieferungen selbst gegenüber den nationalen Steuerbehörden abrechnet.

  • Beispiel: Ein Schweizer Händler verkauft über seinen Webshop Pokémon Sammelkarten ab Lager in der Schweiz an Konsumenten in Österreich, Deutschland und den Niederlanden. Der Warenwert der einzelnen Sendungen liegt zwischen EUR 45 und EUR 85. 
  • Lösung: Der Händler kann sich für den IOSS anmelden (hierfür hat er einen in der EU ansässigen Vertreter zu benennen). Die Warenlieferungen sind von der Einfuhrsteuer befreit, die nationale MWST in Österreich, Deutschland und den Niederlanden wird über den IOSS gemeldet und abgerechnet.

    Alternativ hat der Händler die Möglichkeit, die «Sonderregelungen bei der Einfuhr von Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro» (so die Bezeichnung im entsprechenden § 21a des deutschen Umsatzsteuergesetzes) anzuwenden. In diesem Fall vereinnahmt der Spediteur die Steuer (und allfällige Bearbeitungszuschläge) direkt beim Kunden.

    Drittens besteht noch die Möglichkeit für den Schweizer Händler, sich in Österreich, Deutschland und den Niederlanden mehrwertsteuerlich zu registrieren und die MWST lokal abzurechnen

Plattformbesteuerung

Sonderregelungen gelten in der EU seit einigen Jahren für Fernverkäufe, die über sog. „elektronische Schnittstellen“ angebahnt oder abgewickelt werden, sofern die Ware innerhalb der EU versendet wird und der Verkäufer selbst Drittländer ist. Als elektronische Schnittstelle gelten etwa ein elektronischer Marktplatz oder eine elektronische Plattform, die es Käufer und Verkäufer ermöglicht, in Kontakt zu treten, woraus eine Lieferung von Gegenständen an diesen Leistungsempfänger resultiert (beispielsweise Amazon Marketplace, ebay oder Alibaba).

  • Beispiel: Ein Schweizer Händler vertreibt über einen von einem Dritten betriebenen Online-Marktplatz Pokémon Sammelkarten ab einem Lager in Deutschland. Kunden sind Privatpersonen in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. 

In Fällen, in denen eine elektronische Schnittstelle in diesem Sinne in die Lieferkette  einbezogen wird, kommt es zu einer sog. „Lieferkettenfiktion“: Während tatsächlich lediglich ein einziges Verkaufsgeschäft vorliegt, werden für umsatzsteuerliche Zwecke zwei Lieferungen fingiert, indem eine (erste) Lieferung von dem Unternehmer an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle sowie eine (zweite) Lieferung von dem Betreiber der elektronischen Schnittstelle an den Enderwerber angenommen werden. Die fingierte Lieferung des nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Onlinehändlers an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle ist von der MWST befreit. Die Lieferung der elektronischen Schnittstelle an den Endkunden folgt den allgemeinen Grundsätzen für Fernverkäufe.

  • Beispiel: wie vor.
  • Lösung: Es kommt zu einer Lieferkettenfiktion, bei der eine Lieferung des Schweizer Händlers an den Betreiber des Online-Marktplatzes und von dem Betreiber des Online-Marktplatzes an den Endkunden fingiert wird. Die Lieferung des Schweizer Händlers an den Betreiber des Online-Marktplatzes ist von der MWST befreit. Die Lieferung des Betreibers des Online-Marktplatzes an den Endkunden unterliegt der MWST zu dem MWST-Satz, der in dem Land Anwendung findet, in dem der Endkunde ansässig ist.

Fazit

Dropshipping und andere moderne Vertriebskanäle bieten verlockende Möglichkeiten, neue Einkommensquellen zu erschliessen. Dabei ist es unerlässlich, von Beginn an die (mehrwert-) steuerlichen Folgen zu berücksichtigen. Wer wartet, bis sein Geschäft eine kritische Grösse erreicht hat, läuft seinen eigenen Versäumnissen aus der Vergangenheit hinterher. Mit einem klugen Setup lassen sich das Geschäft ohne grössere Risiken skalieren und der administrative Aufwand in vertretbarem Rahmen halten.

Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Urteil (BGer 9C_154/2023 vom 3. Januar 2024) die Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs bei der Bezugsteuer (Mehrwertsteuer auf Dienstleistungsbezüge aus dem Ausland) für Beraterleistungen im Zusammenhang mit der Veräusserung von Beteiligungen behandelt. Demnach ist eine in der Schweiz mehrwertsteuerpflichtige Person nur berechtigt, die deklarierte Bezugsteuer als Vorsteuer geltend zu machen, wenn die entsprechenden Leistungen in einem Zeitraum erbracht wurden, in dem die steuerpflichtige Person bereits mehrwertsteuerpflichtig (registriert) war. Der Nachweis hierfür obliegt der steuerpflichtigen Person.

Sachverhalt

Die A AG, die sich erst per 1. April 2019 in das MWST-Register als Steuerpflichtige eintragen liess, plante den Verkauf von Anteilen an zwei Gesellschaften. Dazu beauftragte sie zur Vorbereitung, Planung und Durchführung der Veräusserung mehrere ausländische Dienstleister, die je nach Expertise in den Bereichen Investment, Prüfung und Steuern sowie Recht beraten sollten. Die Beratungsverträge zwischen der A AG und den Beratern wurden in den Jahren 2014 bzw. 2018 abgeschlossen, also noch bevor die A AG als mehrwertsteuerpflichtige registriert war. Das Projekt wurde dann im Mai 2019 durch den erfolgreichen Verkauf der Anteile abgeschlossen. Alle Berater fakturierten Ihre Leistungen nach dem 1. April 2019, wobei die nunmehr Steuerpflichtige A AG ordnungsgemäss die Bezugssteuer deklarierte und den daraus resultierenden MWST-Betrag als Vorsteuer wieder geltend machte. Während der Dauer des Projektes von 2014 bis Mai 2019 wurden keine dieser bezogenen Dienstleistungen aktiviert.

Die ESTV verweigerte nach Prüfung den Vorsteuerabzug grösstenteils mit dem Argument, dass die Steuerpflichtige nur diejenigen Vorsteuern zum Abzug bringen könne, welche (unabhängig vom Rechnungsdatum) tatsächlich erst nach deren Eintragung ins MWST-Register am 1. April 2019 (Stichtag) erbracht worden waren. Aufgrund fehlender Detailinformationen dazu, welcher Berater welche Leistungen zu welchem Zeitpunkt genau erbracht hat, ging die ESTV methodisch von einem gleichmässigen, linearen Bezug der Dienstleistungen nach Massgabe der Zeitdauer der Verträge aus (pro rata temporis). Somit sei der Vorsteuerabzug nur insoweit zuzulassen, als nach dieser proportionalen Aufteilung der Honorare die Leistungen nach dem Stichtag erbracht worden sind.

Erwägungen des Bundesgerichts

Erfordernis einer bestehenden Steuerpflicht während Leistungsbezug

Die Position der ESTV, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug nur solche Leistungen umfassen kann, die während bestehender Steuerpflicht bezogen wurden, wurde im Verfahren vor dem Bundesgericht nicht (mehr) bestritten.

Nachweis des Zeitpunkts des Leistungsbezugs

Das Gericht fokussierte sich demnach auf die Frage um den Nachweis, wann die Beratungsleistungen effektiv erbracht wurden. Dem Grundsatz folgend, dass abgabebegründende und abgabeerhöhende Tatsachen von der Steuerbehörde, abgabemindernde und abgabeausschliessende Tatsachen von der abgabepflichtigen Person nachzuweisen sind, sah das Gericht die A AG in der Beweispflicht, dass die Leistungen aus den lange vor erfolgter MWST-Registrierung abgeschlossenen Beraterverträgen erst nach Eintragung in das Register der steuerpflichtigen Personen erbracht worden waren. Diesen Nachweis sei die A AG schuldig geblieben. Mangels anderer Anhaltspunkte sei der Ansatz ESTV, die von einer kontinuierlichen Leistungserbringung über den Zeitraum seit Vertragsabschluss ausging und entsprechend die Entgelte «pro-rata-temporis» aufteilte, vorliegend nicht zu beanstanden.

Einlageentsteuerung

Im Sinne eines Eventualantrages hatte die A AG argumentiert, ihr stünde ein Anspruch auf Einlageentsteuerung zu. Es handelt sich hierbei um die Möglichkeit, den Vorsteuerabzug (anteilig) zu einem späteren Zeitpunkt als dem Leistungsbezug zu korrigieren, wenn die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nachträglich noch eintreten, Art. 32 MWSTG.

Auf in Gebrauch genommene Gegenstände und Dienstleistungen kann der Vorsteuerabzug korrigiert werden, wenn diese in dem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen des Vorsteuerabzug neu vorliegen, noch vorhanden sind und einen Zeitwert haben, Art. 72 Abs. 2 Satz 1 MWSTV.

Allerdings gilt bei Dienstleistungen in den Bereichen Beratung, Buchführung Personalbeschaffung, Management und Werbung eine gesetzliche Vermutung, dass sie bereits im Zeitpunkt ihres Bezugs verbraucht und nicht mehr vorhanden sind, Art. 72 Abs. 2 Satz 2 MWSTV. Die Norm kodifiziert nach Auffassung des Gerichts, einzig bezogen auf die mehrwertsteuerliche Behandlung, gewissermassen eine Pflicht zur Sofortabschreibung. Die buchmässige Behandlung (die Art. 70 Abs. 1 Satz 1 MWSTV grundsätzlich vorschreibt) wird durch diese Spezialnorm ausgehebelt.  

Fazit

Die grundsätzlich großzügigen Regelungen zum Vorsteuerabzug in der Schweiz können zuweilen zu einer gewissen Sorglosigkeit im Bereich der Mehrwertsteuer führen. Das Urteil verdeutlicht, dass eine frühzeitige Mehrwertsteuer-Registrierung der beteiligten Parteien im Zusammenhang mit potenziellen Transaktionen stets sorgfältig geprüft werden sollte und meist auch empfehlenswert sein dürfte.

Das Urteil hat nicht nur Relevanz im Kontext von Transaktionen, sondern beispielsweise auch bei Unternehmensgründungen, insbesondere wenn nicht zwangsläufig von einer obligatorischen Steuerpflicht zu Beginn der unternehmerischen Tätigkeit ausgegangen wird.

Zusätzlich zeigt das Urteil, dass besondere Aufmerksamkeit auf die Dokumentation des Zeitpunktes der Leistungserbringung gelegt werden sollte – beispielsweise durch detaillierte Rechnungsstellung oder die Dokumentation bestimmter „Project Milestones“.

Unter dem aktuellen MWSTG ist das Recht zum Vorsteuerabzug weit gefasst. Demnach kann der Steuerpflichtige im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich die ihm in Rechnung gestellte und von ihm bezahlte Vorsteuer in Abzug bringen, Art. 28 Abs. 1 MWSTG. Erforderlich ist jedoch u.a., dass die Vorsteuer im Rahmen der „unternehmerischen Tätigkeit“ des Steuerpflichtigen angefallen ist. Naturgemäss drängt sich damit die Frage auf, wie der unternehmerische vom nicht-unternehmerischen Bereich abzugrenzen ist.

Mit dieser Abgrenzung des unternehmerischen vom nicht-unternehmerischen Bereich und den entsprechenden Folgen für den Vorsteuerabzug hat sich das Bundesgericht in seinem Urteil 9C_651/2022 auseinandergesetzt.

Hintergrund

Beschwerdeführer in dem zugrunde liegenden Streitfall war ein Verein, dessen Vereinszweck die Unterstützung und Förderung kirchlicher und gemeinnütziger Anliegen im In- und Ausland war. Für die Erreichung des Vereinszwecks veranstaltete der Verein christliche Musicals. Die Musicals finanzierten sich zu ca. 70% durch Spenden, Eintrittsentgelte wurden nicht erhoben.

Neben den Spendeneinnahmen erzielte der Verein auch Entgelte aus Leistungen, beispielsweise dem Verkauf von Lebensmitteln im Kontext mit den Musicals, dem Verkauf von anderen Gegenständen (bspw. Bücher; T-Shirts), aus Bekanntmachungsleistungen (Sponsoring) zugunsten von Firmen sowie Beherbergungsleistungen. Anlässlich einer MWST-Kontrolle versagte die ESTV dem Verein den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Durchführung der Musicals. Hiergegen wandte sich der Verein.

ENTSCHEID DES BUNDESGERICHTS
Das Bundesgericht verweist auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Unternehmensträger neben dem unternehmerischen auch einen nicht-unternehmerischen Bereich unterhalten kann. Dabei sei aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Unternehmen im Grundsatz eine wirtschaftliche Einheit darstelle, welcher alle Aktivitäten zuzuordnen sind, die einen Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit aufweisen.

Ein etwaiger nicht-unternehmerischer Bereich sei demnach dadurch gekennzeichnet, dass die betreffende Unternehmenseinheit entweder überhaupt keine Einnahmen aus Leistungen bewirkt oder diese zumindest in nicht nachhaltiger Art anfallen. Von einem eigenständigen nicht-unternehmerischen Bereich dürfe mithin erst ausgegangen werden, wenn die Trennung ausreichend klar vollzogen werden könne – sei dies aufgrund einer nach aussen deutlich erkennbaren separaten Tätigkeit oder einer klaren Zweckbestimmung, die von jener der unternehmerischen Tätigkeit abweiche. Fehle es daran, bleibe es nach dem Grundsatz der „Einheit des Unternehmens“ bei einem einzigen, und zwar unternehmerischen Bereich.

Vorliegend liege der Hauptzweck der Durchführung der christlichen Musicals in der gemeinnützigen bzw. ideellen Tätigkeit des Vereins – und nicht im Verkauf von Lebensmitteln, Büchern oder T-Shirts bzw. in der Erbringung von Bekanntmachungs- und Beherbergungsleistungen. Mit den Musicals verfolge der Verein mithin ideelle Zwecke und nicht die Erzielung von Einnahmen. Insofern fehle es demnach an der unternehmerischen Tätigkeit.

Damit könne die ideelle Zweckbestimmung der Musicalaufführungen klar von jener der unternehmerischen Tätigkeit des Vereins (Verkauf von Lebensmitteln etc.) unterschieden werden und dürfe eine Trennung zwischen dem eher kleinen unternehmerischen Bereich und dem deutlich grösseren nicht-unternehmerischen Bereich vorgenommen werden. Unbeachtlich sei die enge faktische Verknüpfung der unternehmerischen und der nicht-unternehmerischen Aktivitäten: Der Verein führe die Musicals nicht auf, um seine unternehmerische Tätigkeit zu fördern, sondern nehme anlässlich der (ideell motivierten) Aufführungen lediglich die Gelegenheit wahr, eine untergeordnete unternehmerische Tätigkeit auszuüben.

Fazit

Im Ergebnis bestätigt das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Abgrenzung des unternehmerischen vom nicht-unternehmerischen Bereich. Die Argumentation scheint dabei nicht unwesentlich getrieben von Erwägungen, „unlautere“ Steuervorteile zu erzielen, indem ein vergleichsweise untergeordneter unternehmerischer Bereich herangezogen wird, um im vermeintlich nicht-unternehmerischen Bereich angefallene Vorsteuer in Abzug bringen zu können.