Mehrwertsteuer und Immobilien zählt zu den Dauerbrennern in der Beratung. Die Regelungen sind im Detail komplex und die Beträge für einzelne Transaktionen vergleichsweise hoch. In loser Folge stellen wir in unserem Blog relevante Problemfelder vor und erörtern, worauf zu achten ist. Im ersten Teil beschäftigten wir uns mit mehrwertsteuerlichen Fragen im Zusammenhang mit der Übertragung von Immobilien.
Grundsätzlich bestehen drei Möglichkeiten, den Verkauf einer Immobilie mehrwertsteuerlich abzubilden:
Die Übertragung als von der Steuer ausgenommene Leistung bedeutet, dass das Verkaufsgeschäft selbst keine Mehrwertsteuer auslöst. Da die Leistung selbst „nicht steuerbar“ ist, kann der (steuerpflichtige) Verkäufer auf den vorsteuerbelasteten Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Transaktion keinen Vorsteuerabzug geltend machen.
Hat der (steuerpflichtige) Verkäufer die Immobilie bis zum Verkauf (ganz oder teilweise) für zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke genutzt, stellt der Verkauf als steuerausgenommene Leistung eine „Nutzungsänderung“ dar (Nutzung alt: teils oder ganz zum Vorsteuerabzug berechtigend, Nutzung neu: nicht zum Vorsteuerabzug berechtigend). Entsprechend muss der Verkäufer eine Vorsteuerkorrektur aufgrund Eigenverbrauchs nach Art. 31 MWSTG vornehmen.
Die steuerpflichtige Hans Muster AG in Walchwil hält in ihrem Betriebsvermögen eine Immobilie. In der Immobilie befindet sich die Schreinerei der Hans Muster AG. Im Oktober 2014 hatte die Hans Muster AG das Dach der Immobilie neu decken lassen. Die hierfür in Rechnung gestellte MWST hat die Hans Muster AG als Vorsteuer geltend gemacht. Zum 1. Juli 2024 verkauft die Hans Muster AG die Immobilie an die Müller Immo AG. Der Verkauf soll nach dem gesetzlichen Grundfall erfolgen.
Die Hans Muster AG nutzte die Immobilie bis anhin umfassend im steuerbaren Bereich (Schreinerei). Durch den Verkauf als von der Steuer ausgenommene Leistung tritt eine Nutzungsänderung ein. Entsprechend muss die Hans Muster AG den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Immobilie korrigieren. Betroffen ist vorliegend der Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Renovierung des Daches. Der Umfang der Korrektur richtet sich nach dem Zeitwert der Renovierung. Zur Ermittlung des Zeitwertes wird der Vorsteuerbetrag linear für jedes abgelaufene Jahr bei unbeweglichen Gegenständen um 5% reduziert. Die buchmässige Behandlung ist nicht von Bedeutung. Entsprechend hat die Hans Muster AG die ursprünglich in Abzug gebrachte Vorsteuer um 50% zu korrigieren (5% * 10 Jahre, das laufende Jahr der Veräusserung bleibt bei der Ermittlung des Zeitwerts grundsätzlich ausser Betracht).
Der Erwerber übernimmt die Immobilie frei von Mehrwertsteuer. Bei einer Nutzung im nicht steuerbaren Bereich (z.B. als Altersheim) besteht für den Erwerber kein Risiko einer Nutzungsänderung. Andererseits geht auf den Erwerber auch kein Entsteuerungspotential über.
Die Hans Muster AG rechnet die von ihr vorzunehmende Vorsteuerkorrektur in den Verkaufspreis ein. Die Müller Immo AG beabsichtigte zunächst, die Betriebsliegenschaft abzureissen und eine moderne Wohnliegenschaft auf dem Grundstück zu errichten. Sie ändert ihr Vorhaben dahingehend, dass neu im Erdgeschoss Ladenlokale und im ersten Stock Büroräumlichkeiten geplant sind.
Im Fall der Errichtung einer Wohnliegenschaft ist die Müller Immo AG an einer möglichst geringen Vorsteuerbelastung im Zusammenhang mit dem Erwerb der Immobilie interessiert. Bei einer Nutzung im steuerbaren Bereich (Ladenlokale und Büroflächen können optiert vermietet/verkauft werden), spielt die Vorsteuerbelastung eine eher untergeordnete Rolle, da die Müller Immo AG zum Vorsteurabzug berechtigt ist. Die „verdeckt“ überwälzte Mehrwertsteuer aus der Vorsteuerkorrektur der Hans Muster AG führt bei der Müller Immo AG hingegen zu einer definitiven Mehrbelastung.
Sofern die Vertragsparteien keine besondere Vereinbarungen getroffen haben und die MWST im Kaufvertrag nicht ausgewiesen ist, ist der Verkauf als von der Steuer ausgenommene Transaktion zu behandeln.
Als erste Alternative besteht für den steuerpflichtigen Verkäufer einer Immobilie die Möglichkeit, den Verkauf freiwillig der Mehrwertsteuer zu unterstellen („Option“). Voraussetzung für die Wahrnehmung dieses Wahlrechts ist, dass die Immobilie durch den Käufer nicht ausschliesslich zu Wohnzwecken genutzt wird. Erwirbt der Käufer die Immobilie, um sie seinerseits zu Wohnzwecken weitervermieten, ist die Option damit möglich, da der Erwerber selbst die Immobilie nicht ausschliesslich zu Wohnzwecken zu nutzen beabsichtigt.
Der Verkäufer kann auch nur für einen Teil des Verkaufs der Immobilie optieren. Beim Verkauf von bebauten Grundstücken kann der Verkäufer die Vorsteuer auf die direkt mit dem Verkauf zusammenhängenden Kosten ganz oder teilweise (je nach Option) geltend machen.
Die steuerpflichtige Hans Muster AG in Walchwil hält in ihrem Betriebsvermögen eine Immobilie. In der Immobilie befindet sich die Schreinerei der Hans Muster AG. Darüber befindet sich ein Penthouse mit Blick auf den Zugersee. Im Oktober 2014 hatte die Hans Muster AG alle Fenster in der Immobilie erneuern lassen. Die hierfür in Rechnung gestellte MWST hat die Hans Muster AG als Vorsteuer geltend gemacht, soweit die Fenster der Schreinerei betroffen waren. Zum 1. Juli 2024 verkauft die Hans Muster AG die Immobilie an die Müller Immo AG.
Die Hans Muster hat die Möglichkeit, die Immobilie insgesamt optiert zu verkaufen, da die Müller Immo AG die Penthouse-Wohnung nicht selbst für Wohnzwecke nutzen wird. Durch die optierte Übertragung müsste die Hans Muster AG keine Vorsteuerkorrektur in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Erneuerung der Fenster im Bereich der Schreinerei geltend gemachten Vorsteuern vornehmen. Vielmehr liegt hinsichtlich der Penthouse Wohnung eine Nutzungsänderung vor. Diese berechtigt die Hans Muster AG, in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Erneuerung der Fenster im Bereich der Penthouse Wohnung nicht geltend gemachte Vorsteuer eine Einlageentsteuerung vorzunehmen (50% der ursprünglich in Rechnung gestellten und bezahlten MWST). Sofern die Müller Immo AG die bisherige Nutzung der Penthouse Wohnung fortführt, führt deren optierte Übertragung bei der Müller Immo AG zu einer Mehrbelastung mit MWST, die sich mutmasslich auf die Kaufpreisverhandlung auswirken wird
Daneben besteht die Möglichkeit, dass die Hans Muster AG lediglich den Verkauf der Schreinerei optiert und die Penthouse Wohnung nach dem gesetzlichen Grundfall als von der Steuer ausgenommene Leistung überträgt. In diesem Fall hat die Max Muster AG weder eine Eigenverbauchskorrektur noch eine Einlageentsteuerung zu ermitteln.
Der Verkauf mit Option setzt formell lediglich voraus, dass die MWST im Kaufvertrag auf dem Kaufpreis ohne den Wert des Bodens separat ausgewiesen wird oder die Deklaration in der Abrechnung in den Ziffern 200/205 erfolgt.
Bei der Anwendung des Meldeverfahrens erfolgt die Abrechnung der Mehrwertsteuer gegenüber der ESTV durch Meldung statt Zahlung. Das Meldeverfahren bietet daher die Möglichkeit, die Transaktion abzuwickeln, ohne dass der Käufer die Mehrwertsteuer finanzieren muss. Durch die Anwendung des Meldeverfahrens übernimmt der Käufer für die übertragenen Vermögenswerte die Bemessungsgrundlage und den zum Vorsteuerabzug berechtigenden Verwendungsgrad des Verkäufers.
Die steuerpflichtige Hans Muster AG in Walchwil hält in ihrem Betriebsvermögen eine Immobilie. In der Immobilie befindet sich die Schreinerei der Hans Muster AG. Darüber befindet sich ein Penthouse mit Blick auf den Zugersee. Im Oktober 2014 hatte die Hans Muster AG alle Fenster in der Immobilie erneuern lassen. Die hierfür in Rechnung gestellte MWST hat die Hans Muster AG als Vorsteuer geltend gemacht, soweit die Fenster der Schreinerei betroffen waren. Zum 1. Juli 2024 verkauft die Hans Muster AG die Immobilie an die Müller Immo AG. Die Übertragung wird mittels Meldeverfahren abgewickelt.
Die Müller Immo AG tritt hinsichtlich der Immobilie mehrwertsteuerlich an die Stelle der Hans Muster AG, d.h. sie übernimmt eine Immobilie die im Hinblick auf die Schreinerei im steuerbaren Bereich genutzt wurde und im Hinblick auf das Penthouse im steuerausgenommenen Bereich. Vermietet sie das Penthouse zukünftig optiert an einen Unternehmensberater weiter, kann sie eine Einlageentsteuerung betreffend die Erneuerung der Fenster im 2014 geltend machen. Voraussetzung ist, dass sie nachweisen kann, in welchem Umfang ursprünglich Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und bezahlt wurde.
Im Zusammenhang mit möglichen Nutzungsänderungen nach der Übertragung im Meldeverfahren ist der Nachweis der bisherigen Nutzung durch den Verkäufer von zentraler Bedeutung. Es ist Sache des Käufers, diesen Nachweis zu erbringen. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass er alle für eine Nutzungsänderung relevanten Vorsteuerbelege, Nachweise über wertvermehrende Aufwendungen bzw. umfassende Renovationen der letzten 20 Jahre sowie Aufzeichnungen über frühere Vorsteuerkorrekturen erhält.
Kann der Käufer diese Nachweise nicht beibringen, läuft er Gefahr, dass Vorsteuerkorrekturen aufgrund von Nutzungsänderungen auf Grundlage des Kaufpreises berechnet werden. Dabei geht die ESTV von einer bisherigen Nutzung vollumfänglich im steuerbaren Bereich aus.
Im Beispiel 4 kann die Hans Muster AG infolge eines Wassereinbruchs in ihrem Archiv keinerlei Belege beibringen, die die Historie der Immobilie belegen.
Nutzt die Müller Immo AG das Penthouse weiter für Wohnzwecke, müsste sie mangels Nachweisen der bisherigen Nutzung eine Vorsteuerkorrektur vornehmen. Grundlage bildet der Kaufpreis mit der Hans Muster AG. Vermietet sie das Penthouse zukünftig optiert an einen Unternehmensberater, kann sie keine Einlageentsteuerung geltend machen.
Dementsprechend sollte das Meldeverfahren bei Immobilientransaktionen mit Vorsicht zur Anwendung gelangen, wenn Unsicherheiten hinsichtlich der bisherigen oder zukünftigen Nutzung bestehen und die Dokumentation Lücken aufweist.
Auch wenn es sich bei der vorstehenden Zusammenfassung der mehrwertsteuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Immobilientransaktionen nur um einen ersten Überblick handelt, so wird doch deutlich, dass Immobilientransaktionen auch aus Sicht der MWST vorgängig gründlich geprüft werden sollten, um die gebotenen Gestaltungsmöglichkeiten optimal zu nutzen. Nachstehend haben wir die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten nochmals vereinfacht zusammengefasst
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| Ausgenommene Leistung | Steuerbare Leistung („Option“) | Meldeverfahren |
Steuerpflicht des Verkäufers erforderlich? | Nein | Ja | Ja |
Steuerpflicht des Käufers erforderlich? | Nein | Nein | Ja |
Hinweis/Antrag erforderlich? | Nein | Ja | Ja |
Wird MWST zur Zahlung fällig? | Nein | Ja | Nein |
Muss Verkäufer u.U. Vorsteeurkorrektur berücksichtigen ? | Nein | Nein | Nein |
Kann Verkäufer u.U. Einlageentsteuerung geltend machen ? | Nein | Ja | Nein |
Muss Käufer u.U. Vorsteeurkorrektur berücksichtigen ? | Nein | Ja | Ja |
Kann Käufer u.U. Einlageentsteuerung geltend machen ? | Nein | Nein | Ja |
Ist die mehrwertsteuerliche Historie der Liegenschaft von Bedeutung? | Nein | Nein | Ja |
Die Welt des E-Commerce hat in den letzten Jahren eine beispiellose Expansion erlebt, wobei digitale Plattformen und Online-Handel den globalen Markt revolutioniert haben. Mit diesem Wachstum sind jedoch auch komplexe Herausforderungen verbunden, insbesondere im Hinblick auf die Mehrwertsteuer (MWST) und deren Anwendung auf grenzüberschreitende Transaktionen. Die dynamische Natur des E-Commerce, kombiniert mit internationalen Geschäftspraktiken, hat zu einer komplexen rechtlichen Landschaft geführt, die Teilnehmer am e-Commerce vor neue Herausforderungen stellt. Der nachstehende Artikel befasst sich in erster mit den mehrwertsteuerlichen Themen im b2c Handel (also beim Verkauf an «Konsumenten», im Gegensatz zu Unternehmungen). Dabei handelt es sich um einen groben ersten Überblick. Die entsprechenden Regelungen sind komplex und sollten daher auf Basis des konkreten Geschäftsmodells im Einzelfall geprüft werden.
Keine Schwellenwerte für Drittländer!
Wer im EU Raum b2b Lieferungen (und bestimmte Dienstleistungen) erbringt, ohne über einen festen Geschäftssitz in der EU zu verfügen, wird gegebenenfalls unmittelbar (also ab dem ersten Euro Um-satz) steuerpflichtig. Sonderregelungen für Kleinunternehmer gelten meist nur für Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat.
MWST in 27 Mitgliedstaaten abrechnen: der One Stop Shop
Bei b2c-Lieferungen in verschiedene Mitgliedstaaten (sog. Fernverkäufe oder «distance sales») ab einem EU-Warenlager (verzollte Ware) gilt zunächst der MWST-Satz des Staates, in dem sich das Warenlager befindet.
Übersteigt der Umsatz aus solchen Fernverkäufen EU-weit EUR 10’000 pro Jahr, gilt der MWST-Satz des Landes, in dem der Kunde ansässig ist. Bis vor kurzem mussten sich e-Commerce Händler unter Umständen in allen Mitgliedstaaten separat mehrwertsteuerlich registrieren, um ihren Melde- und Abrechnungspflichten nachzukommen. Seit 2021 ist es ihnen möglich, ihre Melde- und Abrechnungspflichten über eine zentrale Registrierung zu erledigen, den sog. One Stop Shop („OSS“)
Beispiel: wie oben, allerdings erzielt der Händler inzwischen einen Umsatz von EUR 17’000 p.a., wovon EUR 6’000 auf Österreich und EUR 5’000 auf die Niederlande entfallen.
Ware aus dem Drittland in die EU liefern: der Import One Stop Shop
Wie Fernverkäufe innerhalb der EU unterliegen auch Fernverkäufe aus einem Drittland der Mehrwertsteuer zu dem MWST-Satz, der in dem Land des Kunden anwendbar ist. Bis zu einem Warenwert von EUR 150 haben Händler die Möglichkeit, die entsprechenden Fernverkäufe über den sogenannten Import One Stop Shop (IOSS) abzuwickeln.
Wird auf die Anwendung des IOSS verzichtet, kann ein Sonderregelung zur Anwendung kommen, wonach die Einfuhrsteuer durch den Spediteur direkt beim jeweiligen Kunden kassiert wird. Regelmässig stellen Spediteure ihre Verzollungs-Leistungen den Kunden zusätzlich in Rechnung – so dass dieses Vorgehen aus Kundensicht teuer und wenig transparent scheint.
Schliesslich besteht die Möglichkeit, dass der Fernverkäufer sich in den jeweiligen Mitgliedsstaaten seiner Kunden registriert und seine Lieferungen selbst gegenüber den nationalen Steuerbehörden abrechnet.
Alternativ hat der Händler die Möglichkeit, die «Sonderregelungen bei der Einfuhr von Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro» (so die Bezeichnung im entsprechenden § 21a des deutschen Umsatzsteuergesetzes) anzuwenden. In diesem Fall vereinnahmt der Spediteur die Steuer (und allfällige Bearbeitungszuschläge) direkt beim Kunden.
Drittens besteht noch die Möglichkeit für den Schweizer Händler, sich in Österreich, Deutschland und den Niederlanden mehrwertsteuerlich zu registrieren und die MWST lokal abzurechnen
Plattformbesteuerung
Sonderregelungen gelten in der EU seit einigen Jahren für Fernverkäufe, die über sog. „elektronische Schnittstellen“ angebahnt oder abgewickelt werden, sofern die Ware innerhalb der EU versendet wird und der Verkäufer selbst Drittländer ist. Als elektronische Schnittstelle gelten etwa ein elektronischer Marktplatz oder eine elektronische Plattform, die es Käufer und Verkäufer ermöglicht, in Kontakt zu treten, woraus eine Lieferung von Gegenständen an diesen Leistungsempfänger resultiert (beispielsweise Amazon Marketplace, ebay oder Alibaba).
In Fällen, in denen eine elektronische Schnittstelle in diesem Sinne in die Lieferkette einbezogen wird, kommt es zu einer sog. „Lieferkettenfiktion“: Während tatsächlich lediglich ein einziges Verkaufsgeschäft vorliegt, werden für umsatzsteuerliche Zwecke zwei Lieferungen fingiert, indem eine (erste) Lieferung von dem Unternehmer an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle sowie eine (zweite) Lieferung von dem Betreiber der elektronischen Schnittstelle an den Enderwerber angenommen werden. Die fingierte Lieferung des nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Onlinehändlers an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle ist von der MWST befreit. Die Lieferung der elektronischen Schnittstelle an den Endkunden folgt den allgemeinen Grundsätzen für Fernverkäufe.
Dropshipping und andere moderne Vertriebskanäle bieten verlockende Möglichkeiten, neue Einkommensquellen zu erschliessen. Dabei ist es unerlässlich, von Beginn an die (mehrwert-) steuerlichen Folgen zu berücksichtigen. Wer wartet, bis sein Geschäft eine kritische Grösse erreicht hat, läuft seinen eigenen Versäumnissen aus der Vergangenheit hinterher. Mit einem klugen Setup lassen sich das Geschäft ohne grössere Risiken skalieren und der administrative Aufwand in vertretbarem Rahmen halten.
Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Urteil (BGer 9C_154/2023 vom 3. Januar 2024) die Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs bei der Bezugsteuer (Mehrwertsteuer auf Dienstleistungsbezüge aus dem Ausland) für Beraterleistungen im Zusammenhang mit der Veräusserung von Beteiligungen behandelt. Demnach ist eine in der Schweiz mehrwertsteuerpflichtige Person nur berechtigt, die deklarierte Bezugsteuer als Vorsteuer geltend zu machen, wenn die entsprechenden Leistungen in einem Zeitraum erbracht wurden, in dem die steuerpflichtige Person bereits mehrwertsteuerpflichtig (registriert) war. Der Nachweis hierfür obliegt der steuerpflichtigen Person.
Die A AG, die sich erst per 1. April 2019 in das MWST-Register als Steuerpflichtige eintragen liess, plante den Verkauf von Anteilen an zwei Gesellschaften. Dazu beauftragte sie zur Vorbereitung, Planung und Durchführung der Veräusserung mehrere ausländische Dienstleister, die je nach Expertise in den Bereichen Investment, Prüfung und Steuern sowie Recht beraten sollten. Die Beratungsverträge zwischen der A AG und den Beratern wurden in den Jahren 2014 bzw. 2018 abgeschlossen, also noch bevor die A AG als mehrwertsteuerpflichtige registriert war. Das Projekt wurde dann im Mai 2019 durch den erfolgreichen Verkauf der Anteile abgeschlossen. Alle Berater fakturierten Ihre Leistungen nach dem 1. April 2019, wobei die nunmehr Steuerpflichtige A AG ordnungsgemäss die Bezugssteuer deklarierte und den daraus resultierenden MWST-Betrag als Vorsteuer wieder geltend machte. Während der Dauer des Projektes von 2014 bis Mai 2019 wurden keine dieser bezogenen Dienstleistungen aktiviert.
Die ESTV verweigerte nach Prüfung den Vorsteuerabzug grösstenteils mit dem Argument, dass die Steuerpflichtige nur diejenigen Vorsteuern zum Abzug bringen könne, welche (unabhängig vom Rechnungsdatum) tatsächlich erst nach deren Eintragung ins MWST-Register am 1. April 2019 (Stichtag) erbracht worden waren. Aufgrund fehlender Detailinformationen dazu, welcher Berater welche Leistungen zu welchem Zeitpunkt genau erbracht hat, ging die ESTV methodisch von einem gleichmässigen, linearen Bezug der Dienstleistungen nach Massgabe der Zeitdauer der Verträge aus (pro rata temporis). Somit sei der Vorsteuerabzug nur insoweit zuzulassen, als nach dieser proportionalen Aufteilung der Honorare die Leistungen nach dem Stichtag erbracht worden sind.
Die Position der ESTV, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug nur solche Leistungen umfassen kann, die während bestehender Steuerpflicht bezogen wurden, wurde im Verfahren vor dem Bundesgericht nicht (mehr) bestritten.
Das Gericht fokussierte sich demnach auf die Frage um den Nachweis, wann die Beratungsleistungen effektiv erbracht wurden. Dem Grundsatz folgend, dass abgabebegründende und abgabeerhöhende Tatsachen von der Steuerbehörde, abgabemindernde und abgabeausschliessende Tatsachen von der abgabepflichtigen Person nachzuweisen sind, sah das Gericht die A AG in der Beweispflicht, dass die Leistungen aus den lange vor erfolgter MWST-Registrierung abgeschlossenen Beraterverträgen erst nach Eintragung in das Register der steuerpflichtigen Personen erbracht worden waren. Diesen Nachweis sei die A AG schuldig geblieben. Mangels anderer Anhaltspunkte sei der Ansatz ESTV, die von einer kontinuierlichen Leistungserbringung über den Zeitraum seit Vertragsabschluss ausging und entsprechend die Entgelte «pro-rata-temporis» aufteilte, vorliegend nicht zu beanstanden.
Im Sinne eines Eventualantrages hatte die A AG argumentiert, ihr stünde ein Anspruch auf Einlageentsteuerung zu. Es handelt sich hierbei um die Möglichkeit, den Vorsteuerabzug (anteilig) zu einem späteren Zeitpunkt als dem Leistungsbezug zu korrigieren, wenn die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nachträglich noch eintreten, Art. 32 MWSTG.
Auf in Gebrauch genommene Gegenstände und Dienstleistungen kann der Vorsteuerabzug korrigiert werden, wenn diese in dem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen des Vorsteuerabzug neu vorliegen, noch vorhanden sind und einen Zeitwert haben, Art. 72 Abs. 2 Satz 1 MWSTV.
Allerdings gilt bei Dienstleistungen in den Bereichen Beratung, Buchführung Personalbeschaffung, Management und Werbung eine gesetzliche Vermutung, dass sie bereits im Zeitpunkt ihres Bezugs verbraucht und nicht mehr vorhanden sind, Art. 72 Abs. 2 Satz 2 MWSTV. Die Norm kodifiziert nach Auffassung des Gerichts, einzig bezogen auf die mehrwertsteuerliche Behandlung, gewissermassen eine Pflicht zur Sofortabschreibung. Die buchmässige Behandlung (die Art. 70 Abs. 1 Satz 1 MWSTV grundsätzlich vorschreibt) wird durch diese Spezialnorm ausgehebelt.
Die grundsätzlich großzügigen Regelungen zum Vorsteuerabzug in der Schweiz können zuweilen zu einer gewissen Sorglosigkeit im Bereich der Mehrwertsteuer führen. Das Urteil verdeutlicht, dass eine frühzeitige Mehrwertsteuer-Registrierung der beteiligten Parteien im Zusammenhang mit potenziellen Transaktionen stets sorgfältig geprüft werden sollte und meist auch empfehlenswert sein dürfte.
Das Urteil hat nicht nur Relevanz im Kontext von Transaktionen, sondern beispielsweise auch bei Unternehmensgründungen, insbesondere wenn nicht zwangsläufig von einer obligatorischen Steuerpflicht zu Beginn der unternehmerischen Tätigkeit ausgegangen wird.
Zusätzlich zeigt das Urteil, dass besondere Aufmerksamkeit auf die Dokumentation des Zeitpunktes der Leistungserbringung gelegt werden sollte – beispielsweise durch detaillierte Rechnungsstellung oder die Dokumentation bestimmter „Project Milestones“.
Unter dem aktuellen MWSTG ist das Recht zum Vorsteuerabzug weit gefasst. Demnach kann der Steuerpflichtige im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich die ihm in Rechnung gestellte und von ihm bezahlte Vorsteuer in Abzug bringen, Art. 28 Abs. 1 MWSTG. Erforderlich ist jedoch u.a., dass die Vorsteuer im Rahmen der „unternehmerischen Tätigkeit“ des Steuerpflichtigen angefallen ist. Naturgemäss drängt sich damit die Frage auf, wie der unternehmerische vom nicht-unternehmerischen Bereich abzugrenzen ist.
Mit dieser Abgrenzung des unternehmerischen vom nicht-unternehmerischen Bereich und den entsprechenden Folgen für den Vorsteuerabzug hat sich das Bundesgericht in seinem Urteil 9C_651/2022 auseinandergesetzt.
Beschwerdeführer in dem zugrunde liegenden Streitfall war ein Verein, dessen Vereinszweck die Unterstützung und Förderung kirchlicher und gemeinnütziger Anliegen im In- und Ausland war. Für die Erreichung des Vereinszwecks veranstaltete der Verein christliche Musicals. Die Musicals finanzierten sich zu ca. 70% durch Spenden, Eintrittsentgelte wurden nicht erhoben.
Neben den Spendeneinnahmen erzielte der Verein auch Entgelte aus Leistungen, beispielsweise dem Verkauf von Lebensmitteln im Kontext mit den Musicals, dem Verkauf von anderen Gegenständen (bspw. Bücher; T-Shirts), aus Bekanntmachungsleistungen (Sponsoring) zugunsten von Firmen sowie Beherbergungsleistungen. Anlässlich einer MWST-Kontrolle versagte die ESTV dem Verein den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Durchführung der Musicals. Hiergegen wandte sich der Verein.
Ein etwaiger nicht-unternehmerischer Bereich sei demnach dadurch gekennzeichnet, dass die betreffende Unternehmenseinheit entweder überhaupt keine Einnahmen aus Leistungen bewirkt oder diese zumindest in nicht nachhaltiger Art anfallen. Von einem eigenständigen nicht-unternehmerischen Bereich dürfe mithin erst ausgegangen werden, wenn die Trennung ausreichend klar vollzogen werden könne – sei dies aufgrund einer nach aussen deutlich erkennbaren separaten Tätigkeit oder einer klaren Zweckbestimmung, die von jener der unternehmerischen Tätigkeit abweiche. Fehle es daran, bleibe es nach dem Grundsatz der „Einheit des Unternehmens“ bei einem einzigen, und zwar unternehmerischen Bereich.
Vorliegend liege der Hauptzweck der Durchführung der christlichen Musicals in der gemeinnützigen bzw. ideellen Tätigkeit des Vereins – und nicht im Verkauf von Lebensmitteln, Büchern oder T-Shirts bzw. in der Erbringung von Bekanntmachungs- und Beherbergungsleistungen. Mit den Musicals verfolge der Verein mithin ideelle Zwecke und nicht die Erzielung von Einnahmen. Insofern fehle es demnach an der unternehmerischen Tätigkeit.
Damit könne die ideelle Zweckbestimmung der Musicalaufführungen klar von jener der unternehmerischen Tätigkeit des Vereins (Verkauf von Lebensmitteln etc.) unterschieden werden und dürfe eine Trennung zwischen dem eher kleinen unternehmerischen Bereich und dem deutlich grösseren nicht-unternehmerischen Bereich vorgenommen werden. Unbeachtlich sei die enge faktische Verknüpfung der unternehmerischen und der nicht-unternehmerischen Aktivitäten: Der Verein führe die Musicals nicht auf, um seine unternehmerische Tätigkeit zu fördern, sondern nehme anlässlich der (ideell motivierten) Aufführungen lediglich die Gelegenheit wahr, eine untergeordnete unternehmerische Tätigkeit auszuüben.
Im Ergebnis bestätigt das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Abgrenzung des unternehmerischen vom nicht-unternehmerischen Bereich. Die Argumentation scheint dabei nicht unwesentlich getrieben von Erwägungen, „unlautere“ Steuervorteile zu erzielen, indem ein vergleichsweise untergeordneter unternehmerischer Bereich herangezogen wird, um im vermeintlich nicht-unternehmerischen Bereich angefallene Vorsteuer in Abzug bringen zu können.
Im Rahmen einer Kontrolle stellte sich die ESTV auf den Standpunkt, dass die Steuerpflichtige den Investitionsbeitrag des Lotteriefonds zu Unrecht als Spende und nicht als Subvention qualifiziert und deshalb zu Unrecht keine Kürzung des Vorsteuerabzugs vorgenommen habe. Insbesondere machte die ESTV geltend, der Betrag beruhe auf einer gesetzlichen Grundlage und sei zudem zweckgebunden, nämlich als Investitionsbeitrag für den Bau des muskuloskelettalen Forschungs- und Entwicklungszentrums, dessen Tätigkeit als im öffentlichen Interesse liegend betrachtet werden könne. Die Steuerpflichtige argumentierte, dass die Mittel als Spende zu würdigen seien und nicht als öffentlich-rechtlicher Beitrag im Sinne einer Subvention.
Dementsprechend war im vorliegenden Fall streitig, ob der Lotteriefonds einen vorsteuerwirksamen öffentlich-rechtlichen Beitrag (Subvention) oder eine vorsteuerneutrale Spende erbracht hatte.
Entscheid des BundesgerichtsDas Bundesgericht prüft drei wesentliche Abgrenzungskriterien von der Subvention zur Spende:
In dem ersten hier beispielhaft vorgestellten Fall (Bundesfinanzhof, Urteil vom 7.7.2022, V R 33/20) ging es um die Frage der rückwirkenden Rechnungsberichtigung. Dabei ist zu beachten, dass nach den europarechtlichen Vorgaben das Recht zum Vorsteuerabzug zum Zeitpunkt der Leistungserbringung und in Höhe der geschuldeten Steuer entsteht – dass die Steuer auch gezahlt wurde, ist (anders als in der Schweiz) nicht massgeblich. Allerdings ist Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts der Besitz einer ordnungsgemässen Rechnung.
Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung und der Rechtsprechung kann eine Rechnung nur dann rückwirkend berichtigt werden, wenn das zu berichtigende Dokument fünf wesentliche Merkmale (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt und gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer) enthält. Bei Fehlen eines dieser Elemente fehlt es demnach bereits an einer Rechnung im mehrwertsteuerlichen Sinne. Dabei war es bis anhin für die Qualifikation als Rechnung im mehrwertsteuerlichen Sinne nicht schädlich, wenn die Merkmale inhaltlich fehlerhaft waren (die Rechnung war dann zwar nicht richtig, aber stellte zumindest ein auch rückwirkend berichtigungsfähiges Rechnungsdokument dar). In dem hier entschiedenen Fall kam die leistende Partei irrtümlich zu dem Schluss, die Leistungsempfängerin sei im Ausland ansässig und die Leistung unterliege in Deutschland daher nicht der Mehrwertsteuer. Entsprechend rechnete sie mit «Umsatzsteuer 0%» ab. Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte sich später heraus, dass die Leistungsempfängerin in Deutschland ansässig war und mit deutscher Umsatzsteuer hätte abgerechnet werden müssen.
Nach Ansicht des Gerichts war das Dokument aber mangels gesondert ausgewiesener Steuer so fehlerhaft, dass es keine Rechnung mehr darstellte und die Berichtigung keine Rückwirkung auf den Vorsteuerabzug hat.
In einem älteren Urteil (Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.7.2015, V R 23/14) befasst sich der BFH mit den Voraussetzungen, unter denen der Nachweis gelingt, dass Waren im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung tatsächlich das Hoheitsgebiet des einen Mitgliedsstaats verlassen und in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats gelangt sind. Und wieder ging es um die Frage einer richtigen bzw. hinreichenden Ortsbestimmung.
Im zugrunde liegenden Fall hatte der Abnehmer dem Lieferanten bei Abholung der Ware schriftlich bestätigt: «Das Fahrzeug wird am … von mir in das Zielland Spanien verbracht.» Dies war den deutschen Finanzbehörden allerdings nicht hinreichend präzise genug, weil der konkrete (!) Bestimmungsort nicht genannt sei und nicht ohne Weiteres mit der Unternehmensanschrift des Abnehmers gleichgesetzt werden könne.
Wiederum schliesst sich der BFH der Auffassung der Verwaltung an – und versagt mithin die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung. Und wiederum betont der BFH, dass sich vorliegend die Frage nach Gutglaubensschutz nicht stellte, da es an der formellen Vollständigkeit fehle (geschützt werden könne allenfalls der gute Glaube an die inhaltliche Richtigkeit).
Auch in dem letzten hier kurz vorgestellten Beispiel (BFH, Urteil vom 19.3.2015, V R 14/14) befasst sich der BFH mit den Voraussetzungen des Nachweises der Voraussetzungen innergemeinschaftlicher Lieferungen. Und wieder fällt die Entscheidung zuungunsten der Steuerpflichtigen aus.
Streitgegenständlich war die Frage, ob dem Kläger der Nachweis gelungen war, dass alle Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorlagen. Insbesondere ging es dabei um die Frage, ob eine Zeugenaussage als taugliches Beweismittel geeignet sei, das Vorliegen der Voraussetzungen innergemeinschaftlicher Lieferungen zum Zeitpunkt der Lieferung zu bestätigen. Die Vorinstanz verneinte dies und sah den Nachweis als nicht erbracht an.
Diese Ansicht teilt der BFH. Der Gesetzgeber habe festgestellt, dass der Nachweis durch entsprechende Buch- und Belegnachweise zu erbringen sei. Nur in krassen Ausnahmefällen, in denen der Formalbeweis ausnahmsweise nicht oder nicht zumutbar geführt werden könne, gebiete es das Verhältnismässigkeitsprinzip, den Nachweis auch in anderer Form zuzulassen. Da ein solcher Ausnahmefall vorliegend nicht erkannt wurde, bestätigte der BFH die Versagung der Steuerbefreiung für die streitgegenständliche innergemeinschaftliche Lieferung.
Die Beispiele machen deutlich, dass die deutschen Finanzbehörden (aber auch Finanzbehörden in anderen EUMitgliedsstaaten) hohe Anforderungen in Bezug auf formelle Erfordernisse an die Unternehmer stellen. Die «gute» Nachricht für die Unternehmer ist, dass sie Gegenmassnahmen ergreifen können (aber auch müssen), denn die formellen Voraussetzungen sind regelmässig klar in den entsprechenden Gesetzen vorgegeben. Es empfiehlt sich daher für Unternehmer, die im EU-Raum Handel treiben und Leistungen erbringen oder beziehen, frühzeitig interne Prozesse, Kontrollen und/oder Checklisten zu etablieren, die sicherstellen, dass z. B. Eingangsrechnungen (auch) auf formelle Richtigkeit geprüft werden und bei eigenen, allenfalls steuerbefreiten Leistungen alle erforderlichen Nachweise in der vorgeschriebenen Form vorliegen.
Im zu beurteilenden Fall hatte die Steuerpflichtige Gutscheine für Outdoor-Events verkauft. Be-züglich der MWST war die Steuerpflichtige der bis dahin geltenden Praxis der ESTV gefolgt, wonach der Verkauf eines Gutscheines, weitgehend unabhängig von dessen konkreter Ausge-staltung, mehrwertsteuerlich irrelevant war. Erst die Einlösung desselben führte grundsätzlich zu einem mehrwertsteuerlich relevanten Leistungsaustausch, der entsprechend den üblichen Re-geln zu versteuern ist. Neu machte die ESTV geltend, je nach Ausgestaltung der Gutscheine seien die MWST-Konsequenzen unterschiedlich und es sei zwischen Leistungs- und Wertgut-scheinen zu unterscheiden. Tatsächlich standen dem Kunden die Folgenden Gutscheinarten zur Auswahl:
Das Bundesverwaltungsgericht folgte diesbezüglich der Argumentation der ESTV mit der Folge, dass neu für die korrekte Handhabung der MWST zwischen den beiden Gutscheinarten zu unterscheiden ist. Ein Unterscheidungsmerkmal sei insbesondere auch darin zu sehen, welche der Parteien, der Leistungsempfänger oder -erbringer, das Preisrisiko trägt. Wird es vom Leistungserbringer getragen, liegt ein Leistungsgutschein vor. Wird das Preisrisiko hingegen vom Leistungsempfänger getragen, spricht dies für das Vorliegen eines Wertgutscheins.
Vor diesem Hintergrund hat die ESTV am 31. August 2023 ihre diesbezügliche Praxis im Entwurf publiziert. Danach gelten folgende Definitionen und mehrwertsteuerlichen Folgen:
Der Definition der ESTV folgend berechtigen Gutscheine im Allgemeinen zum Bezug von Dienstleistungen und Lieferungen. Dabei können sie in physischer oder elektronischer Form herausgegeben werden. Dabei ist zu beachten, dass die ESTV Rabattgutscheine oder Fahrkar-ten für den öffentlichen Verkehr, Eintrittskarten oder Briefmarken explizit nicht als Gutscheine im vorgenannten Sinne verstanden wissen möchte.
Im Einklang mit dem oben genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes ist neu zwischen Wert- und Leistungsgutscheinen zu unterscheiden, wobei die ESTV das vom Bundesverwaltungsgericht angeführte Unterscheidungsmerkmal zur Frage, wer das Preisrisiko trägt, nicht weiter aufgreift. Vielmehr gilt dass ein Wertgutschein vorliegt, wenn auf dem Gutschein lediglich ein Wert angegeben oder elektronisch hinterlegt ist und mit dem eine beliebige Leistung in Höhe des Geldbetrages bezogen werden kann. Wertgutscheine sind als Zahlungsmittel zu behandeln, da beim Verkauf keine Leistung erbracht und (technisch) kein Entgelt vereinnahmt wird, es liegen lediglich Mittelflüsse vor. Somit fliessen Zahlungen für Wertgutscheine nicht in die Bemessungsgrundlage für die MWST. Bedingung ist allerdings, dass auf dem Gutschein kein Steuersatz ausgewiesen wird (ansonsten gilt der Grundsatz „Fakturierte Steuer ist geschuldete Steuer“).
Interessant ist an dieser Stelle, dass im Falle des gewerbsmässigen Handels mit Wertgutscheinen dennoch ein Leistungsaustausch angenommen wird: diesfalls liegt ausgenommener Umsatz im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs vor. Eine Begründung für diese Umqualifizierung der MWST-Folgen je nachdem, ob gewerbsmässig damit gehandelt wird oder nicht, bleibt die ESTV schuldig genauso wie die Antwort auf die Frage, welcher Handel mit Wertgutscheinen durch Unternehmen allenfalls als nicht gewerbsmässig qualifizieren könnte. Fest steht: liegt keine Entgeltlichkeit vor, haben entsprechende Mittelflüsse keinen Einfluss auf die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Liegen hingegen ausgenommene Umsätze vor, muss der Vorsteuerabzug entsprechend korrigiert werden. Die Frage ist im Einzelfall demnach durchaus relevant und es ist nicht auszuschliessen, dass Gerichte sie werden klären müssen.
Ein Leistungsgutschein liegt hingegen vor, wenn auf dem Gutschein eine bestimmte oder be-stimmbare Leistung angegeben ist. Der Kunde hat die Wahl, wann der Gutschein eingelöst wer-den kann, nicht aber für welche Leistung. Das Vorhandensein einer Wertangabe auf dem Gut-schein ändert an dieser Qualifikation nichts.
Eine Leistung gilt als bestimmt oder bestimmbar, wenn der Leistungserbringer bereits beim Ver-kauf des Gutscheins aufgrund der Art der Leistung feststellen kann, wo und in welcher Höhe die Steuer geschuldet und abgerechnet wird. In diesem Fall gilt die Vereinnahmung des Kaufpreises als Vorauszahlung und die Steuer wird zum Zeitpunkt der Vereinnahmung fällig. Wird der Gutschein nicht eingelöst oder verfällt er, ist eine Korrektur als Entgeltminderung möglich, wenn das Entgelt erstattet wird oder der Leistungsempfänger auf die Rückerstattung des Entgelts verzichtet.
Im Falle des Leistungsgutscheines weist die ESTV darauf hin, dass die Steuer in jener Periode abzurechnen und zu entrichten ist, in welcher die Vereinnahmung des Kaufpreises erfolgt. Be-zügilch des anzuwendenden Steuersatzes ist vor dem Hintergrund der zum 1. Januar 2024 in Kraft tretenden Steuersatzänderungen zu beachten, dass derjenige Steuersatz massgebend ist, der im Zeitpunkt der Leistungserbringung gilt (vgl. hierzu auch unseren Blogbeitrag vom 09.08.2023) Im Falle von Leistungsgutscheinen erfolgt die Leistungserbringung erst anlässlich der Einlösung. Da der Kunde gerade bei Gutscheinen mit längerer Gültigkeitsdauer alleine dar-über entscheidet, wann die Einlösung erfolgt, kann der Leistungserbringer im Falle einer jahres-übergreifenden Gültigkeitsdauer nicht wissen, wann er die Leistung letztendlich erbringen wird. In solchen Fällen dürfte ausnahmsweise der Steuersatz im Zeitpunkt des Verkaufs massgebend sein, eine allfällige nachträgliche Korrektur erübrigt sich.
Im Weiteren führt die ESTV verschiedene Beispiele auf. Hervorzuheben ist dabei, dass die ESTV auch dann von einem Leistungsgutschein ausgeht, sofern der Kunde den Gutschein gemäss den AGB des Leistungserbringers (und ohne weiteren Hinweis auf dem Gutschein) auch für eine andere als die auf dem Gutschein genannte Leistung einlösen kann. Von einem Wertgutschein ist hingegen auszugehen, wenn auf dem Gutschein selbst optional die Einlösung für eine andere Leistung ermöglicht wird. Damit will die ESTV mutmasslich verhindern, dass Leistungserbringer aufgrund von Klauseln in den AGB unkompliziert aus allen von ihnen vertriebenen Gutscheinen Leistungsgutscheine machen können, um so gegebenenfalls die Vorsteuerkorrektur zu umgehen, die notwendig ist, sofern gewerblich Wertgutscheine vertrieben werden (dazu siehe die Ausführungen weiter oben).
In der EU wird zwischen Einzweck- und Mehrzweckgutschein unterschieden. Ein Einzweck-Gutschein liegt vor, wenn der anwendbare Steuersatz im Zeitpunkt der Ausgabe bestimmt wer-den kann, weil die bei der Einlösung zu erbringende Leistung bereits bestimmt oder bestimmbar ist. Die Steuerschuld entsteht bei Einzweck-Gutscheinen im Zeitpunkt der Ausgabe. Mehr-zweckgutscheine hingegen sind Gutscheine, bei denen die Gegenleistung noch nicht eindeutig festgelegt ist und darum der letztlich anzuwendende Steuersatz im Zeitpunkt der Ausgabe noch nicht feststeht Folgerichtig entsteht die Steuerschuld erst anlässlich der Einlösung.
Die Begriffe und Definitionen sind zwar nicht deckungsgleich, dennoch sind die Parallelen zu erkennen. So entspricht der Wertgutschein wohl weitgehend dem Mehrzweck-Gutschein, der Leistungsgutschein dem Einzweck-Gutschein. Inwieweit hier aber in der Praxis bzw. anlässlich der Beurteilung von einzelnen Fällen tatsächlich Deckungsgleichheit besteht, wird sich noch erweisen müssen.
Es ist erfreulich, dass die ESTV im Nachgang zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nun ihre Neubeurteilung der Praxis zu Gutscheinen publiziert hat und dabei mit Beispielen arbeitet. Dennoch bleiben die ein oder anderen Fragen offen und es bleibt abzuwarten, wie sich die von der ESTV ausgearbeiteten Regeln in der Praxis bewähren werden. Anbietern von Gutscheinen wird empfohlen, sich mit ihnen vertraut zu machen um deren Einhaltung sicherzustellen. Im Einzelfall kann es angezeigt sein, den Rat eines Experten beizuziehen.
Der Beginn des neuen Steuerjahres 2024 geht mit vielen Änderungen einher. Gerne verschaffen wir Ihnen einen Überblick über wichtige Änderungen.
Mehrwertsteuer
Wir erinnern Sie an dieser Stelle zunächst daran, dass das Schweizer Volk Ende 2022 einer Erhöhung der Mehrwertsteuersätze per 1. Januar 2024 zugestimmt hat. Hintergrund der Erhöhung bildet die Finanzierung der AHV.
Demzufolge gelten ab dem 1. Januar 2024 folgende MWST-Sätze:
| Bisher | Neu |
Normalsatz | 7.70% | 8.10% |
Reduzierter Satz | 2.50% | 2.60% |
Sondersatz für Beherbergungsleistungen | 3.70% | 3.80% |
Falls Sie weitere Details und Erläuterungen über die Änderungen im Bereich MWST benötigen, verweisen wir Sie gerne auf unseren im August 2023 veröffentlichten Blogbeitrag. Weitere Informationen und Musterformulare zur Abrechnung ab 2024 finden Sie auch auf der ESTV-Homepage.
Individualsteuern im Bereich direkte Bundessteuer
Auf das Jahr 2024 hin gibt es bei den Steuern für Privatpersonen keine wesentlichen Änderungen. Verschiedene Abzüge werden aufgrund der Teuerung leicht nach oben angepasst:
Abzug | 2023 | 2024 |
Aus- und Weiterbildung | 12’700 | 12’900 |
Doppelverdienerabzug | 13’600 | 13’900 |
Kinderabzug | 6’600 | 6’700 |
Unterstützungsabzug | 6’600 | 6’700 |
Verheiratetenabzug | 2’700 | 2’800 |
Abzug vom Steuerbetrag pro Kind | 255 | 259 |
Säule 3a (mit Pensionskasse) | 7’056 | 7’056 |
Säule 3a (ohne Pensionskasse) | 35’280 | 35’280 |
Kinderbetreuungsabzug | 25’000 | 25’500 |
Höhere Verzugs- und Vergütungszinsen
Wer die direkte Bundessteuer vorauszahlt, erhält neu einen Vergütungszins von 1.25% (2023: 0%). Wer die Zahlungsfrist jedoch verpasst, muss neu 4.75% Verzugszins zahlen (2023: 4%).
Einführung von Ausgleichs- und Vergütungszinsen auf Ebene der Kantons- und Gemeindesteuern
Gerne weisen wir sie auch darauf hin, dass gewisse Kantone per 2024 wieder Ausgleichszinsen einführen. So führt der Kanton Zug beispielsweise einen Ausgleichszins von 2% ein. Im Grundsatz findet der Ausgleichszins auf alle per 1.1.2024 offenen Forderungen gegenüber dem entsprechenden Steueramt Anwendung. Abweichende Regelungen unterhalb der Kantone bleiben vorbehalten. Wir empfehlen Ihnen deshalb, Kontakt mit Ihrer Steuerbehörde aufzunehmen, um Ihre Situation in Bezug auf noch nicht beglichene Steuerschulden per 1.1.2024 zu klären.
Von Ausgleichszinsen sind sowohl natürliche, als auch juristische Personen betroffen.
Aufgrund der erneuten Einführung von Ausgleichszinsen werden die Kantone als Gegenstück Vergütungszinsen einführen.
Veränderungen im Kanton Zürich
Seit 2016 hat der Kanton Zürich im Vergleich zu anderen Kantonen insgesamt 13 Plätze in Bezug auf Gewinnsteuersätze eingebüsst. Aktuelle Steuerbelastungsdaten zeigen, dass der Kanton Zürich heute die höchsten ordentlichen Gewinn- und Kapitalbelastungen im Land hat. Als Reaktion darauf hat die Finanzdirektion Massnahmen ergriffen, um den Kanton wieder attraktiver zu machen. Es ist geplant, Unternehmen leicht zu entlasten, während Aktionäre stärker zur Kasse gebeten werden sollen. Konkret ist eine Senkung des einfachen Gewinnsteuersatzes von 7 auf 6 Prozent geplant. Dadurch würde die Gesamtbelastung von 19,7% auf 18,2% (direkte Bundessteuer, Staats- und Gemeindesteuern in der Stadt Zürich, berechnet auf den Gewinn vor Steuern) reduziert. Ausserdem soll die Besteuerung von Dividenden aus qualifizierten Beteiligungen von 50 auf 60% erhöht werden.
Obwohl diese Änderungen geplant sind, ist ihre Umsetzung erst für das Jahr 2025 vorgesehen.
In Bezug auf die Besteuerung der Erwerbseinkünfte von Arbeitnehmern ist Ausgangspunkt jeder steuerlichen Beurteilung Art. 15 des jeweiligen anwendbaren DBAs. In Absatz 1 ist das sog. Arbeitsortsprinzip verankert, wonach der Tätigkeitsstaat Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit besteuern kann, sofern die Arbeit tatsächlich physisch in diesem Staat ausgeübt wird. Werden nun bestimmte Arbeitstage bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen nicht mehr physisch am Sitz des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat, sondern im Homeoffice im Wohnsitzstaat geleistet, kann dies zu einer anderen Zuweisung des Besteuerungsrechts des Arbeitslohnes führen.
Für das Beispiel eines internationalen Wochenaufenthalters mit Wohnsitz und Familienort im Ausland und Arbeitsort in der Schweiz, bedeutet dies, dass die Schweiz aufgrund des Arbeitsortsprinzips die Schweizer Arbeitstage besteuern darf. Jeder einzelne im Homeoffice am ausländischen Wohnsitz geleistete Arbeitstag untersteht jedoch im Ausland der Steuerpflicht und muss in der Schweiz entsprechend steuerlich freigestellt werden. Nimmt die Homeoffice Tätigkeit im Ausland ein gewisses Ausmass an, ist zu prüfen, ob infolge Anwendung der sog. «Monteurklausel» nach Art. 15 Abs. 2 des jeweiligen DBAs das ausschliessliche Besteuerungsrecht der Erwerbseinkünfte dem ausländischen Ansässigkeitsstaat zusteht. Diese Spezialbestimmung greift, sofern sich der Arbeitnehmer insgesamt weniger als 183 Kalendertage in der Schweiz aufhält (Arbeitstage inkl. Wochenenden und Ferien) und die Vergütung nicht von einem Arbeitgeber in der Schweiz oder einer dort gelegenen Betriebsstätte des ausländischen Arbeitgebers getragen wird. Sind die Voraussetzungen kumulativ erfüllt, verliert die Schweiz als Arbeitsort ihr Besteuerungsrecht.
Eine weitere Ausnahme von der Besteuerung am Arbeitsort findet man bei der Besteuerung leitender Angestellter. So ist etwa im Verhältnis mit Deutschland am 6. April 2023 eine neue Konsultationsvereinbarung zur Anwendung von Art. 15 Abs. 4 DBA DE abgeschlossen worden. Danach soll die Regelung dieses Artikels unter bestimmten Voraussetzungen auch auf nicht im Handelsregister eingetragene «leitende Angestellte» Anwendung finden. Art. 15 Abs. 4 DBA DE ermöglicht eine Besteuerung der Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat (z.B. Deutschland) ansässige natürliche Person für ihre Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist – ein sog. «leitender Angestellter» – einer im anderen Vertragsstaat (z.B. Schweiz) ansässigen Kapitalgesellschaft (Arbeitgeber) bezieht, im anderen Vertragsstaat (d.h. Schweiz). Damit hat der Ansässigkeitsstaat der Kapitalgesellschaft ein Besteuerungsrecht am Lohn des leitenden Angestellten, unabhängig vom Ort, von wo aus dieser seine Arbeit tatsächlich verrichtet.
Schliesslich finden sich weitere Ausnahmen des Arbeitsortsprinzips bei der Besteuerung von Grenzgängern. Ähnlich wie im Bereich der Sozialversicherungsunterstellung waren auch aus steuerlicher Sicht aufgrund der COVID-19 Pandemie bis vor kurzem diverse spezielle Konsultationsvereinbarungen und Regelungen mit den an die Schweiz angrenzenden Staaten zu beachten. Zwar sind diese zwischenzeitlich ausser Kraft getreten, jedoch fand aufgrund der Zunahme der Homeoffice Tätigkeit im Zuge der Pandemie eine wichtige Impulssetzung statt. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass Beschäftigte ihre Tätigkeit zunehmend auch an ihrem Wohnsitz ausüben möchten, wurden in letzter Zeit im Bereich der Besteuerung von Grenzgängern diverse neue Regelungen mit den umliegenden Ländern abgeschlossen.
Die einschlägige Grundbestimmung im jeweiligen DBA sieht dabei eine weitere Ausnahme vom Arbeitsortsprinzip vor. Dabei darf der Ansässigkeitsstaat nach dieser Bestimmung i.d.R. die Erwerbseinkünfte trotzdem besteuern, auch wenn die Arbeit im Tätigkeitsstaat verrichtet wird. Ausschlaggebend und deshalb oft Gegenstand von Verständigungsverfahren ist die Definition und Auslegung zum Begriff der Grenzgängereigenschaft und dabei insbesondere der sog. Nichtrückkehrtage. Dabei kann die Grenzgängereigenschaft entfallen, wenn keine periodische Heimkehr an den Wohnsitz stattfindet bzw. die Nichtrückkehrtage eine gewisse Schwelle überschreiten.
Nicht immer klar war die Frage, wie Homeoffice-Tage zu qualifizieren sind und ob sie allenfalls als Nichtrückkehrtage qualifizieren. Deutschland und die Schweiz wollten der zunehmenden Verbreitung der Homeoffice-Tätigkeit Rechnung tragen. So ist im Verhältnis zu Deutschland am 26. Juli 2022 eine Konsultationsvereinbarung betreffend ganztägig am Wohnsitz verbrachter Arbeitstage in Kraft getreten. Danach gelten Arbeitstage, an denen eine Grenzgängerin oder ein Grenzgänger ganztägig am Wohnsitz im Ansässigkeitsstaat arbeitet, nicht als Arbeitstage, an welchen die Person nach Arbeitsende aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an den Wohnsitz zurückkehrt. Diese Arbeitstage gelten somit nicht als Nichtrückkehrtage im Sinne des DBA.
Im Verhältnis zu Frankreich wurde am 22. November 2023 die Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung eines Zusatzabkommens zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich verabschiedet. Dieses Zusatzabkommen ermöglicht das grenzüberschreitende Homeoffice bis zu 40 % der Arbeitszeit pro Jahr – insbesondere für Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Es ist Teil der Ende 2022 vereinbarten Lösung betreffend Homeoffice. Innerhalb dieses Limits sieht das Zusatzabkommen vor, dass Vergütungen im Zusammenhang mit Telearbeit in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Arbeitgebende befindet. Weiter sieht das Abkommen vor, dass der Staat des Arbeitgebenden dem Wohnsitzstaat des Arbeitnehmenden 40% der Steuern überweist, die er auf den Vergütungen aus Telearbeit im Wohnsitzstaat erhoben hat. Um die Anwendung der neuen Regeln zu gewährleisten, ist ein automatischer Informationsaustausch über Lohndaten vorgesehen.
Im Verhältnis zu Italien wurde am 10. November 2023 eine Erklärung unterzeichnet, worin eine auf zwei Jahre befristete Steuerregelung für das Homeoffice vereinbart wurde. Ab dem 1. Januar 2024 haben gemäss der Erklärung alle Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Sinne des im Dezember 2020 unterzeichneten Grenzgängerabkommens die Möglichkeit, bis zu 25 Prozent ihrer Arbeitszeit im Homeoffice zu leisten. Diese bleibt ohne Auswirkungen auf den Staat, der die Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit besteuern darf und auf den Status als Grenzgänger. Zudem wurde beschlossen, die von beiden Ländern am 20. April 2023 vereinbarte Übergangslösung zu erweitern. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF meldete am 28. November 2023, dass beide Staaten in einer befristeten Verständigungsregelung vereinbart haben, dass zwischen dem 1. Februar 2023 und dem 31. Dezember 2023 Telearbeit bis zu 40 % der Arbeitszeit möglich ist, ohne dass es zu einer internationalen Aufteilung der Steuerrechte oder einer Änderung des Status der Grenzgängerinnen und Grenzgänger kommt.
Im Bereich der Koordination der nationalen Sozialversicherungssysteme kann bei einer wesentlichen Tätigkeit im Wohnsitzstaat innerhalb der EU/EFTA/CH die Versicherungsunterstellung vom Arbeitgeberstaat in den Wohnsitzstaat wechseln, sofern in letzterem eine wesentliche Tätigkeit ausgeübt wird. Dies tritt vorwiegend in grenzüberschreitenden Konstellationen auf, wo neben einer Arbeitstätigkeit in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers einer Homeoffice Tätigkeit im Wohnsitzstaat nachgekommen wird.
Bis vor Ausbruch der COVID-19 Pandemie bzw. des Lockdowns am 11.03.2020 galt als wesentliche Tätigkeit ein Arbeitspensum von durchschnittlich 25% der gesamten Tätigkeit. Somit konnte bis maximal 24.9% der gesamten Tätigkeit ohne Wechsel der Versicherungsunterstellung im Homeoffice geleistet werden.
Aufgrund der besonderen Situation im Zusammenhang mit dem Coronavirus wurde innerhalb der EU/EFTA sowie im Verhältnis zur Schweiz eine flexible Anwendung der Unterstellungsregelungen vereinbart, wonach die Versicherungsunterstellung nicht aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen ändern sollte. Somit wird eine Person auch dann als im Arbeitgeberstaat erwerbstätig (und somit dem dortigen Sozialversicherungssystem unterstellt) betrachtet, wenn sie ihre Tätigkeit dort physisch nicht ausüben kann und 100% der Arbeitstage im Wohnsitzstaat im Homeoffice wahrnehmen muss. Eine Bescheinigung A1 war grundsätzlich bei solchen Sachverhalten nicht erforderlich. Diese flexible Regelung wurde im Verhältnis EU/EFTA/CH bis zum 30. Juni 2023 verlängert.
Nach alter Regelung würde bei einem 100%-Arbeitspensum eine Homeoffice-Tätigkeit von 2 Tagen (40%) zu einem Wechsel der Sozialversicherungsunterstellung in den Wohnsitzstaat führen und der Arbeitgeber wäre in der Folge im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers sozialversicherungs-abgabepflichtig und für die Abführung der entsprechenden Beträge haftbar. Ebenfalls müsste eine Bescheinigung A1 beantragt werden, welche die anzuwendenden Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit bestätigt. Unter der flexiblen Anwendungsregelung während der COVID-19 Pandemie hingegen, würde kein Wechsel der Sozialversicherungsunterstellung erfolgen, trotz erfüllen einer wesentlichen Tätigkeit von mehr als 25% im Wohnsitzstaat und es müsste auch kein Formular A1 beantragt werden.
Damit nach dem 30. Juni 2023 eine Erleichterung der Versicherungsunterstellung fortgeführt werden konnte, haben die Schweiz und bestimmte EU- und EFTA-Staaten eine multilaterale Vereinbarung unterzeichnet. Die Vereinbarung sieht vor, dass Personen, die in dem Staat arbeiten, in dem sich auch der Sitz ihres Arbeitgebers befindet, bis zu 50% grenzüberschreitende Telearbeit (maximal 49.9 % der Arbeitszeit) im Wohnstaat leisten dürfen, ohne dass die Zuständigkeit für die Sozialversicherungen vom Staat des Arbeitgebersitzes in den Wohnsitzstaat wechselt.
Damit die Vereinbarung für ihre Arbeitnehmenden gilt, müssen Schweizer Arbeitgeber bei ihrer AHV-Ausgleichskasse via die Plattform ALPS (Applicable Legislation Portal Switzerland) eine Bescheinigung A1 (maximale Gültigkeit 3 Jahre, verlängerbar) beantragen. Gleiches gilt für ausländische Arbeitgeber deren Schweizer Mitarbeiter vom Homeoffice aus arbeiten möchten. Diese müssen bei der zuständigen ausländischen Stelle eine Bescheinigung A1 beantragen.
Diese Ausnahme ist nur auf Situationen anwendbar, die zwei Staaten betreffen, welche die Vereinbarung unterzeichnet haben. Bei Homeoffice in einem Staat, der die multilaterale Ausnahmevereinbarung nicht unterzeichnet hat, oder für einen Arbeitgeber mit Sitz in einem Staat, der der Vereinbarung nicht beigetreten ist, gelten ab dem 1. Juli 2023 wieder die vor der Pandemie angewendeten ordentlichen Regeln und Verfahren (Wesentlichkeitsschwelle der Tätigkeit von 25%, Notwendigkeit der Beantragung einer Bescheinigung A1). Ebenso nicht anwendbar ist die Vereinbarung, falls der Arbeitnehmer neben der Telearbeit im Wohnsitzstaat dort weitere Tätigkeiten wie z.B. Kundenbesuche ausübt oder in einem weiteren EU. Bzw. EFTA-Staat eine gewöhnliche Tätigkeit ausübt.
Zu beachten ist, dass die obigen Reglungen nur für den Bereich der Sozialversicherungen gelten. Die steuerliche Sichtweise muss separat und basierend auf den jeweilig anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen, den Zusatzabkommen bzw. Verständigungsvereinbarungen, sowie den separaten kantonalen Sonderabkommen mit den Grenzstaaten überprüft werden. Eine vertiefte Diskussion der steuerlichen Betrachtungswese wird im nächsten Blogbeitrag thematisiert. Hier sei bereits erwähnt, dass im Verhältnis zu Frankreich seit dem 1. Januar 2023 eine neue Verständigungsvereinbarung gilt. Auch mit Italien ist per 17. Juli 2023 ein neues Grenzgängerabkommen sowie ein Änderungsprotokoll in Kraft getreten. Im Verhältnis zu Deutschland gilt es, die neue Konsultationsvereinbarung vom 6. April 2023 betreffend «leitenden Angestellten» zu beachten.
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